Die Factory Story

Von blauen zu glücklichen Montagen

Im naßkalten, unfreundlichen Januar 1978 taten sich die Herren Tony Wilson und Alan Erasmus unter dem Namen Movement of the 24th January zusammen und übernahmen das Management für eine völlig unbekannte Band aus Manchester: Durutti Column. Als die neblige, englische Sonne hervor kroch und die staubigen Straßenbäume in Manchester anfingen, frisches Grün zu zeigen, eröffneten die beiden ihren ersten eigenen Laden, den Russel-Club. Als die Blätter der buckligen Straßenbäume vergilbten und sich zur Erde warfen, planten Wilson, Erasmus und der dazu gestoßenen Peter Saville die erste Schallplatte ihres Lebens, einen Sampler mit den Gruppen, die in ihrem Club auftraten. Im wenig goldenen Oktober kommt ein gewisser Martin Hannett dazu und im Januar ‘97 hängt wieder ein grauer, trostloser Regen über der verdorrenden Industriestadt. Aber es gibt auch einen kleinen Lichtschein, die Compilation mit Joy Division, Durutti Column, John Dowie und Cabaret Voltaire ist fertig.
In diesem tristen Januar mietet sich die Factory-Crew eine Wohnung als Büro in der Palatine Road 86, und noch eine wichtige, wegweisende Entscheidung fällt zu Beginn dieses Jahres. Rob Greton und Joy Division entschließen sich mit der Begründung “was sollen wir in London, wenn Factory auch in Manchester arbeiten kann”, ihr Debütalbum nicht bei Radar/Warner Bros. herauszubringen, sondern beim bis dahin gänzlich unbekannten Factory-Label.
Ein Schallplatten-Label schaut zurück. Factory bringt aus diesem Anlaß gleich ein historisches Vierfach-Album auf den Markt. Das heißt ganz traditionsbewußt “Palatine - The Factory story” und bündelt nochmal dreizehn Jahre musikalische Konsequenz und Eigensinn eines Tony Wilson und seiner Mitstreiter. Fällt der Name Factory, springen einen wohl zuallerst drei große Namen an: Joy Division, New Order und die Happy Mondays. Die waren oder sind auch die blinkenden Aushängeschilder der Firma und spielen die Kohle für andere, unbekanntere Projekte ein. Wenn man bedenkt, wie wichtig allein New Order für Factory ist, wird das verständlich. Ihr enigmatisches “Blue monday” hielt sich schon allein insgesamt 18 Wochen auf Platz eins der britischen Indie-Charts und verkaufte sich weltweit dreimillionenmal. New Order verbuchte auch die meisten, nämlich 54, aller Top-One-Plazierungen. Mit diesem Schub federte Factory auch an die Spitze der britischen Independent-Label mit total 76 Pool-Positions.
Aber Factory war immer mehr als nur New Order. Label-Leader Wilson folgte da ganz seinen persönlichen Intensionen und Geschmack und entdeckte immer wieder bizarre Neulinge. Waren das ganz am Anfang A Certain Ratio und auch Orchestral Manoevre in the Dark, die dann aber bald zu Virgin wechselten, kamen wenig später die Distractions, Crawling Chaos, Section 25 oder The Names dazu. In den Anfangszeiten wurde Factory natürlich über den schnell wachsenden Kult-Status von Joy Division bekannt, von Martin Hannett übrigens kongenial produziert. Doch dann nahte dieser bitterschwere 16. Mai 1980. Ian Curtis, der dunkel-zerissene Joy-Div-Sänger, drückte “Strojek” von Werner Herzog in seinen Video-Recorder, legte Iggy Pops “The idiot” auf und erhing sich. Ende. Ein wunderschön inszenierter, bitterer Pop-Tod. Nach kurzer Zeit der Lähmung wurde aus Joy Division New Order, das erste Konzert fand im Manchester Beach Club im September desselben Jahres statt.
Wilson buddelte von Zeit zu Zeit neue Combos für sein Label aus, dabei heute vergessene wie Exodus, die Stockholm Monsters, Quando Quango, Kalima, Tunnelvision oder The Wake. Darunter aber auch solche wie die sattsam bekannten James, Railway Children, Northside und natürlich die Happy Mondays. Wilson glaubte eben schon an die Mondays, als sie noch schwer handhabbare Schuljungs waren und mit Drogen rumfingerten. Das war Mitte ‘85. Mit den Unhappy Mondays war es nie einfach, und auch heute, nach dem Verschwappen von Rave, posieren Shaun Ryder und Bez lieber für Sex-Postillen als sich um neue Songs zu kümmern.
Natürlich gehört zur Factory-Geschichte auch die legendäre Hacienda in Manchester. Am 21. Mai 1982 eröffnet, war sie immer auch so eine Art Headquarter des Factory-Clans und gleichzeitig Treff und Sammelbecken der Manchester-Posse. Der Club, in dem jede Menge New Order-Kohle steckt, war immer umtost von Drogenexzessen, städtischer Schließung und mancher Polizei-Razzia und ist mittlerweile auch längst ein Sightseeing-Objekt des Manchester-Tourismus. Auch der Rave-Boom im letzten Jahr lockte ja scharenweise Studenten in den englischen Norden, die Einschreibungen an den Universitäten Manchesters stiegen sprunghaft an.
Ein wichtiger Einschnitt war auch der Februar ‘86. Als im United Kingdom nämlich gerade die Class of 86 eingeschult wurde und picklige, pubertierende Jünglinge den Anorak als betörendes Kleidungsstück entdeckten, fing ein Typ namens Mike Pickering in der Hacienda an, House-Music aus den USA aufzulegen und war damit der erste in England. Was daraus wurde ist bekannt. Factory eröffnete im November ‘87 dann auch noch eine eigene Bar in der Oldham Street, die als Bar das werden sollte, was die Hacienda als Club schon war. Bitter für die Firma, Martin Hannett verstarb nach einigem ungeklärtem Zwist ziemlich überraschend an den Folgen einer Lungenentzündung. Tony Wilson konnte das nicht aufhalten, er machte weiter unbeirrbar sein Ding, und das heißt seit dreizehn Jahren Factory.

electric galenza

Februar/ März 1992 NMI & Messitsch Berlin 1/92 S. 14