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Wir wollen immer artig sein ... (1999)

Wir wollen immer artig sein 1.jpgPunk, New Wave, HipHop, Independent-Szene in der DDR 1980 - 1990.

Herausgegeben von Ronald Galenza und Heinz Havemeister

Das Buch:

Das Buch ist die erste umfangreiche Darstellung der jungen, unabhängigen Musikszene in der DDR seit Ende der siebziger Jahre. Es beschreibt die regional unterschiedlichen Anfänge und Entwicklungen von Punk-Rock und Untergrund in der DDR, die Entstehungsbedingungen und die kulturellen Wurzeln, so die Avantgarde- und Free-Jazz-Szene, die Blues-Messen und den Alternativ-Rock.

Es war der Aufbruch einer neuen Musikergeneration jenseits des staatlich verordneten und kontrollierten Rock-Mainstreams und des FDJ-Kulturbetriebes. Diese Punk-, New Wave-Bands und künstlerischen Projektgruppen (wie Schleim-Keim, Wutanfall, Paranoia, Namenlos, Rosa Extra, Ornament & Verbrechen , Feeling B, die anderen, Herbst in Peking, AG Geige u.a.) trafen sich in Kellern, in öffentlich besetzten Räumen oder spielten bei halblegalen Konzerten in Kirchen, Wohnungen, Ateliers und Gartenlauben.

Zu dieser inoffiziellen Kultur gehörten auch junge Dichter, Maler, Fotografen und Performance-Künstler, es entstanden multimediale Projekte. Losgelöst von staatlichen Vorgaben, Restriktionen und monopolisierten Produktionsbedingungen brachten verschiedene Bands, lose Projektgruppen und halblegale Label in völliger Eigenregie Platten- und Kassettenproduktionen heraus. Im Gegensatz zur vorangegangenen Künstlergeneration hatten diese Künstler sich ideell und künstlerisch von der DDR verabschiedet und ihre eigenen, persönlichen Haltungen und Ansichten formuliert. So entwickelte sich in dieser größtenteils nur Insidern zugänglichen Szene ein neues ästhetisches und politisches Selbstverständnis.

Das Buch zeigt die einbindenden, aber auch ausgrenzenden Reaktionen des Staatsapparates mittels seiner Medien.

Die Stasi observierte, verfolgte und reglementierte natürlich diese musikalische Untergrund-Bewegung, was wiederum diese unangepaßte Musikszene beeinflußte. Dieser Aspekt wurde bisher nicht aufgearbeitet.

Die Herausgeber haben in jahrelanger Arbeit Material zusammengetragen und recherchiert, sie konnten über 33 kompetente Autoren und Gesprächspartner gewinnen, so Bert Papenfuß, Christoph Tannert, Lutz Schramm, Peter Wawerzinek, Jan Faktor, Peter Böthig, André Greiner-Pol, André Herzberg, Otze u.a., die diese Zeit aktiv miterlebt haben.

Aus dem Inhalt:

- Punk, Provokation, Paranoia und Parties: die Anfänge und nachfolgende Entwicklungen, beleuchtet in Gesprächen mit Vertretern unterschiedlichster Musikrichtungen und Stile: Punk, Rock, Heavy Metal, Blues, Jazz, Avantgarde

- der DDR-Underground in Berlin, Leipzig, Dresden, Chemnitz (Karl-Marx-Stadt) und in Thüringen, etliche Fallbeispiele, erzählt von Zeitzeugen

- übergreifende Konzepte, die Zusammenhänge von Musik, bildender Kunst, Literatur, Performance, Home-Recording, Covergestaltung und Audio-Art

- Stasi, Spaß und E-Gitarren

- Im Bärenfell am Arsch der Welt: Ostberliner Poeten und Musiker

- Von Renft bis AG Geige. Mit Trommelstöcken auf Patrouille: A.R. Penck als Musiker

- Zonenpunk in Scheiben: die erste Punkplatte aus dem nahen Osten

- Jugendtanz aus kontrolliertem Anbau. Die Entwicklung ab Mitte der 80er Jahre: die Fronten zwischen offizieller und inoffizieller Kultur weichen auf.

- Rap is in the house: HipHop in der DDR

- Die letzten Tage von Pompeji: die Musikentwicklung unter den neuen Bedingungen vom Fall der Mauer bis zum Ende der DDR

- Bislang unveröffentlichte Fotos, Typoskripte, Handzettel, Rocktexte, Cover u.a. Materialien

- der Anhang: ein Dokumentationsteil, eine umfangreiche Disco- und Kassettografie und ein Literaturverzeichnis

Die Herausgeber:

Ronald Galenza, geb. in Berlin (Ost), Journalist. Seit 1986 Musikbeiträge über alternative Musik für Radio DT 64, ab 1990 fester Musikredakteur bei DT 64 mit eigener Musik-Sendung. Mitbegründer der ersten, legendären Independent-Diskothek »X-MAL!« in Berlin-Ost. Beschrieb die unabhängige Musikszene der DDR mit Beiträgen für »Melodie & Rhythmus«, »Die Unterhaltungskunst«, »TIP«, »NMI/Messitsch«. Drei Jahre Mitglied des Rock-Beirats beim Berliner Senat für Kultur, verschiedene Rocktexte (Pankow) sowie LP-Covertexte für die anderen Bands. Zuletzt Programm-Manager bei Radio Fritz (ORB)

Heinz Havemeister, geb. 1958 in Eisenberg/Thüringen, 1980 Mitgründung des Berliner Boheme Theaters (BBT), 1982-1987 Studium der Kunstwissenschaft in Berlin, 1987-1991 freiberufliche Tätigkeit, ab 1988 Mitherausgeber der originalgrafischen Zeitschrift Liane, 1990 Mitgründung des Berliner Verlags Druckhaus Galrev, Mitarbeit bis 1993, Mitglied der Bolschewistischen Kurkapelle Schwarz-Rot, Beteiligung an Theaterproduktionen, Beiträge in: Bildende Kunst, taz, zitty, Kunstforum International, Kunst in der DDR (Kiepenheuer & Witsch), Tacheles - Alltag im Chaos (Elefanten Press) u.a., Musikprojekte: Heinz & Franz, mit Matthias »Baader« Holst »zwischen bunt und bestialisch all die toten albanier meines surfbretts«, Miliz Christi.

Die Presse:

»Die beiden Herausgeber zeigen ein Spektrum der Möglichkeiten systemferner Rockmusik in den letzten Jahren der DDR auf, das mehr über die Musik und auch über die DDR aussagt als manch vorgeblich allwissendes Werk.« Sächsische Zeitung

»Ein merkwürdiges Konglomerat aus Kunst- und Erinnerungstexten, bierseligen Gesprächsnotizen, recycelten Zeitungsaufsätzen und sauber recherchierten Grundsatzartikeln. Wer das hervorragend bebilderte Werk liest, weiß alles über jeden, der im letzten DDR-Jahrzehnt den Pogo tanzte und staatsunabhängig zur Gitarre griff. Jeder Tag hat eine Nacht, brüllte Sascha Anderson in das Mikro seiner Band Fabrik und beschrieb damit wohl selbst am treffendsten den schizophrenen Schwebezustand, in dem sich die DDR-Subkultur befand.« Die Zeit

»In ihrer Abwendung vom sozialistischen Biedermeier und unter dem begrenzten Einfluß westlicher Subkulturen bildeten sich eigene Sprachformen, Ästhetiken und Kulturen heraus, die sich dem ostdeutschen Mainstream entzogen und dennoch in den kleinen Netzwerken der DDR-Subkulturen verständlich waren. Bei der Lektüre dieses Bandes erfährt man neben den subtilen Formen staatlicher Repression fast im Vorübergehen eine Reihe von erhellenden Fakten über den Zerfall des kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenhangs in der untergehenden DDR.« Die Welt

»Eine exzellente Textsammlung, die nicht nur durch ihren Umfang imponiert. Ein lebendiges Bild von dem täglichen Kampf, sich in der DDR als renitenter Jugendlicher zu behaupten. Die ungezügelte, rohe Wut des Punkrock funktionierte als Kraftkern einer Subkultur, die sich nicht auf eine bessere Zukunft vertrösten lassen wollte.« Der Tagesspiegel

»Das mit Abstand beste Buch zum Thema. Artig rastert das Netz des DDR-Underground chronologisch, ästhetisch, regional und politisch. Was der Westen nicht glauben mag. DDR & Szene war janusköpfig: einerseits grau & Regen, andererseits bunt & Erde.« TAZ