Gegenbilder - DDR-Film im Untergrund: 1983-1989
DVD: Hg.: „Ex. Oriente. Lux“ / Experimentalfilm Archiv Ost. Karin Fritzsche + Claus Löser
Jahrelang schien die Welt auf dem Bildschirm des DDR-Fernsehens stillzustehen. Dass es in der Spätphase der DDR neben den offiziellen Bilderfabriken von Babelsberg (DEFA) und Adlershof (Fernsehen) auch eine lebendige filmische Subkultur gegeben hat, ist noch immer weithin unbekannt. Es waren zunächst Maler, die Ende der 70er Jahre das brachliegende Medium des Super-8-Films für sich entdeckten. Mittels der eigentlich für Urlaubsaufnahmen vorgesehenen sowjetischen »Quartz«-Kamera machten sie sich daran, ihre Ausdrucksskalen zu erweitern und das Dogma des statischen Tafelbilds aufzubrechen.
Filmische Artikulationen, die sich der unmittelbaren Kontrollen durch staatliche Institutionen ganz bewußt entzogen, waren in der DDR nicht vorgesehen. Ein dichtes Netz von Regelwerken definierte, analog zu allen anderen gesellschaftlichen Bereichen auch, was wann, wo und wie zulässig war. Das Monopol auf Öffentlichkeit - und damit auch auf Film - lag beim Staat. Für eine Gruppe junger Leute wurde Super-8-Film trotz aller Repressalien eine Möglichkeit zur Erweiterung des als starr empfundenen staatlichen Kunstbegriffes und der Alltagslangeweile. Super 8 bot eine individuelle Ausdrucksform, mit der sich Konzepte und Ideen im Gegensatz zu etwa Text, Malerei und Bildhauerei dynamisch und unmittelbar umsetzen ließen.
In der DDR gab es etwa zweihundert Amateurfilmzirkel, die mit Super-8- und 16mm-Film gesellschaftlich aktiv waren. Jenseits dieser Arbeitsgemeinschaften, die an Betriebe, Schulen und Kulturhäuser angegliedert waren, entdeckten ab Ende der 70er Jahren auch Freigeister die Super-8-Kamera für sich. Ungeachtet ihrer unterschiedlichen Qualität sind ihre Filme, die heute im Filmarchiv Ex. Oriente. Lux im Kino Brotfabrik gesammelt werden, wunderbares Quellenmaterial der Vorwendekultur. In der DDR entstanden und zirkulierten autonome Künstlerfilme auf Schmalfilm in einer Grauzone am Rande des offiziellen Kunstbetriebs. Diese teils tolerierte, teils staatlich verfolgte Untergrund-Szene stellt die vorliegende DVD „Gegenbilder“ als einen kreativen Teil der DDR-Kunstgeschichte vor.
Von der jungen, unorganisierten Super 8-Szene wurde die scheintote Wirklichkeit längst avantgardistisch auseinander geschnitten und neu verklebt. Maler, Aktionskünstler, Literaten, Musiker oder Laien griffen bei der Suche nach neuen Provokationen und Bildern zur Schmalfilmkamera. Am leichtesten und schnellsten ging das mit Super-8. Die frühen Filmemacher in Berlin, Dresden, Leipzig oder Greifswald wollten der Tristesse neue Horizonte erschließen. Ihre unsicheren, wackligen Streifen wurden oft Grenzüberschreitungen voller Kritik und Aufbruch. Allerdings galt seinerzeit fast jeder Streifen eines Szene-Mitglieds damals per se als subversiv und wichtig. Sie wurden zu Lesungen, Ausstellungseröffnungen oder Konzerten gezeigt. Oft liefen sie in völlig überfüllten Wohnungen.
Manche der jungen Filmemacher arbeiteten intermedial zerstörerisch. Sie bemalten, ritzten und zerstückelten lustvoll das Zelluloid, um es trotzig neu zusammenzusetzen. Oft schnitten sie Szenen aus öffentlichen Filmen, gefilmte Performances, abgefilmte Bilder oder Installationen in ihre eigenen Streifen. Systemzersetzend war das selten. Außer Baader zog provozierend durch die Leipziger Innenstadt und ließ sich dabei aus einem Hinterhalt ablichten. Die notgedrungene Stummfilmästhetik der Super-8-Filme war, wie überall, der unterentwickelten Technik geschuldet. Da eine synchrone Wiedergabe von Bild und Ton technisch nicht realisierbar war, wurde Musik von Magnetbändern und Kassetten oder live zugespielt. So gerieten Filmvorführungen meist zu Performances mit unvorhersagbarem Ausgang. Film-Aktivisten aus dieser Zeit waren generationsübergreifend: a.r.penck, Lutz Dammbeck, Jürgen Böttcher (Strawalde), Helge Leiberg, Cornelia Schleime, Tohm di Roes, Via Lewandowsky, flanzendoerfer, Christine Schlegel, Gino Hahnemann, Claus Löser, Cornelia Klauß, Ramona Köppel-Welsh oder Thomas Werner.
„Gegenbilder“ zeigt eine Filmkultur des Verborgenen und Konspirativen, durch Gesetze immer am Rande der Illegalität entlang. Sie zeugt von Lebenswirklichkeiten, die in den offiziellen Medien der DDR kaum Beachtung fand. Und auch heute gibt es kaum eine historische Fernsehsendung über die DDR, die sich nicht offizieller DDR-Bilder bedient und damit das real-sozialistische Abbildungsdogma am Leben hält. Dem setzen die Super-8-Dokumente eine eigene, unverstellte und höchst autonome Blickweise entgegen. Zu den bevorzugten Motiven radikaler Super-8-Autoren in der DDR zählten Dächer, Ateliers, Abrißhäuser, Friedhöfe, Müllhalden, Betonsiedlungen, Geschlechtsorgane, Kleinbürgeridyllen und triste Hinterhöfe. Dass eigene Bilder relativ problemlos projiziert werden konnten, beunruhigte die Staatsmacht. Sie ließ fürs erste gewähren und observieren. Thomas Frick, der unter den Fittichen des Stadtkabinetts für Kulturarbeit den „Greifswalder Experimentalfilmzirkel“ leitete, wurde sechs Jahre lang von seiner Lebensgefährtin im Auftrag der Stasi bespitzelt. Ein günstiger Zugriffspunkt war das zentrale Kopierwerk der DEFA, wo alle Filme entwickelt werden mußten. Dort zog man von mißliebigen Filmen Kopien zur Beweisverwahrung. Andere Filme verschwanden einfach spurlos.
Die DVD zeigt ganz unterschiedliche Handschriften, denn die Filmer waren keine homogene Gruppe und ganz verschiedenen Alters: Der Maler und Bildhauer Helge Leiberg ist mit „action situation“ (1983) vertreten: er zeigt individuelle Köpfe, einprägsame Gesichter, das zerfallende Dresden, das er mit expressiven Farben übermalt. Cornelia Schleimes „Unter weißen Tüchern“ (1983) läßt Menschen, von Kopf bis Fuß bandagiert, an Wände und Türen fesseln, die verstörende Unfreiheit zeigen. Gino Hahnemanns „September September“ (1986) arbeitet mit Täuschung und Chaos, die Zeit verschwimmt ins Diffuse. Sehr wütend wirkt Thomas Röslers Streifen „7x7 Tatsachen aus dem hiesigen Leben des Dichters Thom di Roes“ (1983). Zu den Schrei-Attacken seiner Band Klick & Aus, wütet er zornig über den Stillstand und Frustrationen seines Lebens. Er bestraft sich und alle Schönheit, in dem er auf ein Stück Buttercremetorte uriniert, das er anschließend verschlingt. Thomas Werners „Guten Tag, Berlin!“ (1987) unterläuft die offizielle Selbstdarstellung Ost-Berlins, eine verschmitzte Umdeutung von Alltagsbildern. Am radikalsten ist der Streifen „Konrad! Sprach die Frau Mama...“ (1989) von Ramona Köppel-Welsh. Sie montiert eigene Kinderbilder mit denen anderer, spastischer Kinder, filmt illegal einen Grenzübergang und lässt am Ende einen kleinen Jungen auf eine beklemmende Flucht ins Ungewisse rennen.
Über ihre Arbeitsweisen in dieser Zeit berichtet der Film-Essay „Die subversive Kamera“, von Cornelia Klauß 1997 für den NDR gedreht, hier als Bonusmaterial auf der DVD enthalten. „Vorführungen waren ein einziges Abenteuer und jedesmal wurde mein Film kürzer“, erinnert sich etwa Mario Achsnick an den legendären Projektor „Russ“. Leider dominiert die zu seiner Entstehung der Doku noch viel diskutierte Stasi-Debatte. Man hätte gern mehr Biographisches über die Akteure erfahren. Die Dokumentation zeigt auch kraß, wie verschieden die Wahrnehmungen dieser Filme in Ost und West waren. Die Symbole hatten nicht mehr dieselbe Bedeutung.
Die Filmleute praktizierten ästhetischen und zivilen Ungehorsam. Sie dokumentieren fast sozial-historisch ein verschwundenes Lebensgefühl. Die unter sehr provisorischen Bedingungen entstandenen Filme haben bis heute nichts von ihrer Faszination und Wucht eingebüßt und zeigen eine andere DDR-Wirklichkeit. Gegenbilder - Sinnliches Anschauungsmaterial über eine verblichene Zeit.
Ronald Galenza, September 2008
Die Filme:
Lutz Dammbeck: Hommage á la Sarraz, 1981
Gino Hahnemann: September September, 1988
Cornelia Schleime: Unter weißen Tüchern, 1983
Cornelia Klauß: Samuel, 1984
Volker Lewandowsky: Report, 1987
Thomas Frydetzki: Engelchen, 1985
Claus Löser: Nekrolog, 1985
Tom di Roes: 7 x 7 Tatsachen über das hiesige Leben des Dichters Tom di Roes, 1983
Thomas Werner: Guten Tag Berlin, 1987
Ramona Köppel-Welsh: Konrad! Sprach die Frau Mama..., 1989
Format: HiFi Sound, PAL
Spieldauer: 97 Minuten
Studio: absolut Medien GmbH