Irland

 

 


Gierig lutschte er am Ozean herum: der Mouth of Shannon. Dieser gurgelnde Wasserschlund aus

Schlamm. Trostlos und weit. Sein Name soll nach der keltischen Mythologie auf die weibliche

Sagengestalt Sionan zurückgehen. Bisambraunes Wasser und kamillegrüne Flechten. Von der Loop

Head Halbinsel bis nördlichen Küstenregion der Stadt Limerick recht das Mündungsgebiet des Shannon.

Bei Carrigaholt tollten Delphine wild übers Wasser. Die kleine Church of the Blessed Virgin Mary duckte

sich in immerfeuchtes Grün.

 

Der Club klang kalt. Es roch nach unsicherer Jugend, nassen Sachen und Dope. Jeder war hier seins.

Eine große Gemeinschaft aus pfiffigen Monologen. Es war schwer reinzukommen, in diese Guinness-

Gesellschaft. Worein auch immer. In austauschbare Fußball-Krakelereien oder die stumpfen Gesichtern

fülliger Minirock-Mädchen, die sich in Armdrücken übten. Egal, ich war ja schon bei mir selbst.

Drängelte mich an die Tresen-Front. Man winkte über die Bar, aber es winkte nie jemand zurück. Eine

kleine Frau wies mich in unverständlicher Sprache darauf hin, dass ich mich keck vorgedrängelt hätte.

Die Nette. Ich grollte und prollte. Wochen später bekam ich die Drinks. The Celtic Woman besangen

vergangene Traditionen.

 

In diesem Pub kulminierte dann die Nacht. Square-Dance pogte, die Fiedeln und Akkordeons barmten

voller Geschichte und Enttäuschungen. Bier, Schweiß und sexuelle Neurosen in Strömen. Die Freundin

eines guten Freundes machte sich an mich ran. Plötzlich stand der Gehörnte in der zugigen Tür. Es

wurde garstig. Soviel Guinness kann man gar nicht trinken. Ich floh auf eine windschartige Klippe hoch

über dem Atlantic. Um allein zu sein. Im Wind und Ausflüchten. In den Gezeiten. Und fing an mit dem

Rauchen an. War es die Werbung? Amerika lag genau gegenüber. Die Weite? Das Einsame? Die Wellen?

Irland hat Schuld!

 

Es war ein nebliger und regnerischer Tag voll rauchigem Kopfschmerz. Wir hockten im Regen unterm

lighthouse von Loop Head und winkten dem Gulf Stream. Ich geriet in eine depressive Joyce-

Stimmung. Stolperten wir über Wurzelwerk oder das grimmige Gesicht des Leprechaun, eine wahre

Landkarte aus Falten und Warzen. Der National-Kobold mag es, übel riechenden Tabak rauchen, auch

selbstgebranntem Whisky ist er nicht abgeneigt. Der könnte ein guter Freund werden.

 

Die irische See weiß um viele Lieder von U 2, Van Morrison und den Pogues. Wir versuchten uns an

ihrer Tages-Medizin: Guinness mit Portwein. Ihr Kompott, den Rotwein, schafften wir nicht mehr.

Britische Pop-Parolen schmetternd, entjungferten wir Einen neuen Golfplatz von blendenem Grün. Bei

einem Stop in Limmerick, dem Headquarter der Cranberries, tat sch plötzlich der Himmel auf:

gleißendes Licht und mäandernde tiefgraue Wolken verfluchten die Scheinheiligkeit Bono’s und

bestärkten Dolores O'Riordan in ihren keltischen Depressionen. Nun ist sie für immer fort.

 

Wir gingen an Bord eines asthmatischen Fischkutters, Sherkin Island hielt endlosen Regen bereit. Der

Atlantic schäumte wütend, Rückfahrt unmöglich. Trösteten uns im Jolly Roger Pub mit Irish Mist und

seinem Geschmack tausendjähriger Wurzeln. Durchnäßt ergriff uns auf der alten Mole die zeitlose

Melancholie der Waterboys. Klagegesänge und Zerfallserscheinungen. Wir schwiegen stundenlang auf

hohem Niveau. Auf einer Wiese am Strand von Ballycastle sahen wir vier Schwäne durch die Lüfte

schweben. Aber nicht irgendwelche Schwäne. Das sind die vier Kinder Lirs, die von ihrer eifersüchtigen

Stiefmutter in Vögel verwandelt wurden.

 

Zum Jahreswechsel, in einer pechschwarzen Nacht, fuhr, hoch über den Klippen von Loop Head, der

große Wagen vor. Gottes Gesellen erflahen Nachschub: Paddys, Tullamore, Jameson. Wir rasten die

Milchstraße entlang, uns erschien Van the man.

Slàinte!

 

 

© R. Galenza