China
Ein dieser Tag zum Ersticken. Auf der Fahrt zur Großen Mauer. In einem Kleinbus schaukeln wir zu
einem noch ganz unsanierten Teil der Great Wall, weit nördlich der Hauptstadt. In einem kleinen
Straßendorf steigt eine ziemlich alte, dunkelhäutige Frau im Blaumann zu. Eine Uigurin? Ich denke
noch, schön, nimmt er die Alte mit bis ins nächste Dorf, hier funktionieren die alten Strukturen noch.
Aber nee, plötzlich grummelt die Faltige: Alle aussteigen! Sie ist unser Guide und führt uns hurtig über
die verschlungen Wege der steilen Berge.
Aufbruch nach Quing Dao. Die zackigen Gipfel des Laoshan, die Prinz Heinrich Berge, die kahlen gelben
Hänge des Perl-Gebirges waren zu erkennen. Die Inseln Max und Moritz tauchten auf und deutlich
traten die Kegel des Iltis- und Bismark-Berges hervor. Die erste Heimatluft fühlten wir hier. Denn Quing
Dao, Ex- Tsingtau, war German Kolonie von 1898 bis 1919 und Hauptstützpunkt desOastasien-
Geschwaders der Kaiserlichen Marine.
Ein Taxifahrer glühte richtig auf und begrüßte uns ganz begeistert mit „Hail Hitlere!!“ Die Dinge
passieren. So wurde die hölzerne Seebrücke in Tsing Tao streng nach dem Vorbild der Usedomer in
Kühlungsborn errichtet. Auch der Leuchtturm von Hafenbau-Direktor Georg Gromsch ruht altdeutsch im
Gelben Meer. Früher ging es hier um Verkaufssteuern für Opium, Abgaben für Hafen und die
Leuchtfeuer. Vertilgten toten Fisch an der alten Mole mit Blick auf die große Insel Yin-tau
(Kartoffelinsel). Wurden dolle müde von all diesem Unsinn und zogen uns ins Deutsche Gefängnis
zurück. Das gab es immerhin auch noch. Heuer allerdings als mittelgutes, nicht ganz unbilliges Hotel
umgestaltet. Kein Charme, was war das für ein Ort?
1878 wurde die weite Bucht von Tsing Tao von der Kaiserlichen Deutschen Marine besetzt. Da die
Portugiesen und Briten schon stark im aufstrebenden China-Geschäft waren, wollte das Reich hier
unbedingt auch eine eigene Kolonie. für den lukrativen China-Handel. Zur Sicherung von Ruhe und
Ordnung wurden flugs zwei Kirchen, Kasernen, ein Gefängnis, das Rathaus und eine backsteinerne
Bierbrauerei errichtet. Das Bier aus der Germania-Brauerei (1901 in Tsingtau gegründet) ist heute ein
Exportschlager der Chinesen. Irgendwie sah der ganze Ort wirklich aus wie in Deutschland, eine
Mischung aus Schwäbisch Hall oder der Dresdner Elbhänge. Am größten Strand, der Auguste-Viktoria-
Bucht, entstanden Hotel- und Villenbauten, die stark an die deutsche Ostseeküste erinnerten.
Unglaublich, in der Innenstadt eine katholisches und eine lutherisches Gotteshaus von deutscher
Fügung. Die evangelische Christuskirche ähnelt einer norddeutschen Dorfkirche, auf deren Turmuhr bis
heute der Name des deutschen Herstellers zu lesen ist: "J.F.Weule, Bockenem am Harz, 1908". Die
Berliner Straße kreuzt die Friedrichstraße. Die heißen wirklich noch so, nun halt auf chinesisch.
Und der Bahnhof gleicht einer alt-deutschen Ritterburg. Er war Ausgangspunkt einer Zugverbindung,
die von 1910 an über Peking durch Nordchina, die Mongolei und Rußland nach Berlin führte. Die
Fahrzeit betrug 14 Tage und im Speisewagen wurden "Holsteiner Schnitzel" oder auch "Berliner
Buletten" serviert. Ganbei – Prost!
© R. Galenza