Canada

 

Wir kamen aus dem Küsten-Regenwald    von Vancouver Island. Regen peitschte, wie so oft an der

Pazifikküste Kanadas. Überall tropfte, triefte und plätscherte es. Der Boden sumpfig, der Himmel dämmrig

im ewigen Wald Avatar Grove. Das beeindruckende Forststück liegt im Südwesten von Vancouver Island

nahe der Holzfällersiedlung Port Renfrew. Welche Gottheiten hausten in den bizarren indianischen Totem-

Pfählen in British Columbia? Die hatten bessere Zeiten gesehen und hypnotischere Trommeln vernommen.

Heute sind sie nur noch holzgewordene Lokal-Folklore. Wir begegneten ihnen unten am Wasser des

Pazifik. Schmuckstolz ragten sie am Strand von Vancouver auf.



Die indianischen Völker am Pazifik konnten im Winter auf genügend Vorräte zurückgreifen, so widmeten

sie sich in der kalten Jahreszeit oft der Handwerkskunst. Sie schnitzten massive "Totem Poles". Verehrt

wurden die übernatürlichen Wesen und Tiere u.a. in Form von Totems, vergleichbar mit Wappen. Man fand

Orcas, Raben, Adler, Bären und Donnervögel. Die Pfähle weisen unterschiedliche Größen und Funktionen

auf. Zehn bis 15 Meter groß waren die mächtigsten Gedächtnis- und Grabpfähle, die frei vor den Häusern

standen. Es gab daneben auch säulenartige Hauspfosten, die entweder auf der Außenseite oder der

Innenseite geschnitzte Ornamente zeigten. Einige der alten, vom Verfall bedrohten Wappenpfähle werden

heute als historische Monumente in Museen konserviert. So geht sie dahin, die Geschichte. Alles wir

museal und tot.



Schlugen uns durch unter fast hundert Meter hohen Riesen-Lebensbäumen, Zedern und Sitka-Fichten. Die

gefräßigen Kettensägen der Holzkonzerne lagen schon bereit. Nur die wertvollen Stämme werden mit

Seilkränen aus den Kahlschlägen herausgezogen und auf 80-Tonnen-Holztransportern in die Sägewerke

verfrachtet. Das übrige Holz wird zurückgelassen oder gar verbrannt. Die wertvollen Stämme wurden zum

Triften zu Wasser gelassen. Auch als in den 1900er Jahren das Land im Westen und Süden des Flusses

schon lange nicht mehr von Indianern bewohnt war, war es noch Brauch, die Ufer als „weiß“ und

„indianisch“ zu bezeichnen. Wenn über die alten Tage des Holzflößens gesprochen wurde, erwähnten die

Flößer oft einen "Rag Point" genannten Kleiderhaufen. Wer an Bord zum ersten Mal flussabwärts daran

vorbeikam, musste dem eine Spende hinzufügen, indem er ein Kleidungsstück darauf warf. Wer das nicht

wollte oder schaffte, wurde - „ducked or docked“ – in den Fluss eingetunkt oder am Ziel für Getränke in

den Saloons kräftig zur Kasse gebeten. Unmengen von endlosen Holzstämmen treiben auch heute noch

an den pazifischen Ufern. Diese Flöße erreichen Längen von über einem Kilometer und sind oft weit über

50 Meter breit. Dabei sind diese Flöße völlig unbemannt. Nur auf den Schleppern befinden sich zwei oder

drei Mann Besatzung.

Doch die First Nations (die Navi-Ureinwohner) leisteten gegen den ungezügelten Kahlschlag ihrer Heimat

erfolgreich Widerstand. Nationalparks und Schutzgebiete wurden eingerichtet. Stinktiere und Kojoten

beobachteten uns mit hinterhältigem Blick, die wußten Bescheid. Mit der Verwendung menschlicher

Mumien- und Skeletteile glaubte man, die Kräfte der Toten herbeizuziehen und damit mehr spirituelle

Kraft als der Wal zu besitzen.



Die Rituale waren vorbereitend auf den Kontakt mit den gefährlichen und übelwollenden Totengeistern,

damit der Häuptling im Umgang mit ihnen keinen Schaden davontrug. Ein zentraler Kultur-Gedanke dieser

Stämme ist die Einheit allen Lebens. In den Mythen der Indianer wird von Zeiten erzählt, in denen

Menschen und Tiere miteinander kommunizieren konnten. Aber diese Zeiten sind lange dahin. Niemand

kann mehr mit Bären sprechen. Unter den Glitzertürmen des Geldes im Centrum von Vancouver sahen wir

einige stark alkoholisierte Indianer Wracks rumliegen. Für die haben sich nicht mal mehr die Geister

interessiert.

© R. Galenza