Obstwein in der DDR

 

Von Äpfeln und Birnen

 

Erschienen http://mostblog.net/ (Austria) – October 2013

Ronald Galenza, passionierter Weißwein-Trinker und Redakteur beim Berliner Radio Fritz, arbeitete vor dem Mauerfall in der DDR u. a. als Obstpresser. Während eines Kurzaufenthaltes in Wien war er spontan dazu bereit, über seine Vergangenheit in der »Obstbude« und über (Obst)Wein in der DDR zu erzählen.

Du bist für mich als Musikjournalist, der die Punk- und Experimentalszene der DDR aufgearbeitet hat, schon länger ein Begriff. Mir wurde aber auch erzählt, Du hättest als Obstpresser gearbeitet. Wie ist es dazu gekommen?

Das war ein Bruch in meiner Biographie. Ich habe in der DDR, in Leipzig, Journalismus studiert, aber es gab in der DDR komische Regeln wie die Absolventenvermittlung. Der Staat hat vorgeschrieben, in welche Stadt, zu welcher Zeitung man gehen muss. Ich bin aber ein Ur-Berliner und hab’ gesagt, ›leckt mich am Arsch, ich gehe nicht nach Neubrandenburg, Gera oder Karl-Marx-Stadt‹. Somit ist meine Journalistenkarriere, noch bevor sie starten konnte, verbrannt, weil ich mich dem System verweigert hatte. Ich musste mir Hilfsjobs suchen. Ich habe ein halbes Jahr lang Telegramme ausgetragen und war dann Anstreicher bis sich diese Chance als Obstpresser bot. Am Stadtrand von Berlin gab es eine Obstbude mit Streuobstwiesen, wo die Schicht um sechs Uhr in der Früh begann, was für mich die Härte war. Jedenfalls kamen um diese Uhrzeit schon frische Äpfel und Birnen herein, aus denen Most, also Fruchtsaft gemacht wurde, aber auch Obstwein.

Zur begrifflichen Abgrenzung: Fruchtsaft wurde als Most bezeichnet?

Most war nicht so gebräuchlich, es hieß Obstsaft. Man muss unterscheiden: Obstsaft war dünner und klarer Fruchtsaft; Most war trüber Saft und hatte einen höheren Fruchtanteil und war somit auch von besserer Qualität als Obstsaft. Bis zur Fall der Mauer war ich also arbeitslos bzw. hatte Hilfsjobs wie bei der evangelischen Kirche als Raumputze. Erst mit dem Fall der Mauer konnte ich journalistisch arbeiten und habe bei einem Radiosender angefangen.

Welche Aufgaben hattest Du als Obstpresser zu erfüllen?

Ich war ja nur Hilfsarbeiter, hatte keinerlei Ausbildung. Ich machte im Prinzip Fließbandarbeit. Die Früchte kamen mit dem LKW an, wurden abgeladen, gewaschen, gerüttelt und sortiert, dann wurden sie gepresst. Es gab auch eine Flaschenabfüllanlage, wo immer 0,7-Liter-Flaschen abgefüllt und mit Kronenkorken verschlossen wurden. Das wird im Westen nicht viel anders gewesen sein. Und jeder Mitarbeiter hat als Deputat drei Flaschen Obstwein bekommen, was mich damals vollkommen verwirrte und verstörte. Um sieben Uhr waren die ersten Flaschen offen, und die Jungs – es waren hauptsächlich Männer – haben dieses Zeugs wie Milch oder Apfelsaft getrunken. Für sie war das ganz normal und sie sagten zu mir, ›komm mal Junge und nimm einen‹. Ich hatte dann um neun Kopfschmerzen und konnte nicht mithalten. Es war aber für mich interessant, denn es war eine fremde und bizarre Welt, wo Leute schon 20 Jahre diesen Job machten, aber auch seit 20 Jahren tranken. Ich habe meine drei Flaschen nie ausgetrunken, sondern auf Partys mitgenommen, an Freunde und Bekannte verteilt.

 Welche Rolle spielte der Obstbau in der DDR einerseits im privaten, andererseits im agrarindustriellen Bereich?

Im privaten Bereich war er natürlich sehr unbedeutend, aber die DDR hatte schon generelles Interesse daran, ins kleine Lebensmittelgeschäft irgendetwas mit Vitaminen hineinzustellen. Die hatten sich schon darum bemüht, einen Apfel- oder Birnensaft und in den allerseltensten Fällen einen Kirschsaft hineinzustellen. Ich habe keinen Überblick über die Gesamtproduktion in der DDR, aber es gab schon Genossenschaften, die nicht nur Viehzucht, Getreide- und Rübenanbau oder so einen Kram gemacht haben, sondern auch dafür sorgten, dass die Bevölkerung Saft oder Obstwein – die Qualität war nie sehr hoch – kaufen konnte, aber es war meiner Meinung nach keine Massenproduktion.

 Welchen Stellenwert hatte der Apfelwein? War er Haustrunk oder gab es auch High-End-Produkte?

Mit dem Begriff Apfelwein grenzt Du zu sehr ein, denn in der DDR sagte man Obstwein dazu, denn niemand wusste, was da genau drin war. Eigentlich stimmen beide Begriffe nicht, denn weder schmeckte es nach Wein noch nach Apfel. Wir sagten immer, die spülen die rumänischen Waggons aus. Die DDR importierte den Wein aus Rumänien und Bulgarien. Dieser Wein kam nicht in Kartons oder Flaschen an, sondern in Güterwaggons und wurde erst in der DDR in Flaschen abgefüllt. Die haben einfach den Rest genommen, ich würde das nicht einmal Trester nennen. Es kostete den Einzelverbrauchspreis – EVP hieß das damals – von zwei Mark fünfundsiebzig. Das war ein Hilfsgetränk. Der normale Wein aus dem Import hat sechs DDR-Mark gekostet – eigentlich relativ teuer, das war schon ein Genussmittel. Wenn man keinen Wein gekriegt hat, kaufte man Obstwein, aber jeder wusste, dass man am nächsten Tag nicht mehr durch die Tür kommt. Man bekam schwerste Lähmungen im Kopf, das war übelstes Zeugs und hatte auch bis zirka zehn Volumprozent Alkohol. Ich würde nicht sagen, dass das Apfelwein war, sondern Obstwein, in den hineingeschmissen wurde, was noch gefunden werden konnte.

Hat es bei den Apfelsorten Schwerpunkte gegeben? Der Pinova-Apfel ist eine DDR-Züchtung, die mittlerweile auch in Österreich weit verbreitet ist. Dann habe ich von einem »Gelben Köstlichen« gelesen und nicht glauben können, dass es sich dabei um den Golden Delicious handelt – eine Züchtung aus den USA, die in der DDR gepusht wurde!?

Alle englischen Begriffe waren natürlich verpönt. Man durfte nicht Discjockey sein, sondern Schallplattenunterhalter. Es wurden für alle Westbegriffe eigene erfunden.  Der Partei war es immer wichtig, der Bevölkerung die Grundversorgung sicherzustellen: zuerst Kartoffeln, dann Rot- und Weißkohl. Die Kinder sollten auch Obst bekommen. Beispielsweise gab es bei Frankfurt an der Oder ein Obstanbaugebiet, wo kilometerlange Apfelbaumreihen aufgestellt wurden. Es gab auch alte Apfelsorten, aber nur bei den Bauern. Sonst passierte dieselbe Einschränkung, die letztendlich auch die EU gemacht hat, dass man sich auf sechs oder sieben Apfelsorten konzentrierte. In der DDR waren es halt nur zwei oder drei, und der Gelbe Köstliche war immer und überall verfügbar, damit die Bevölkerung, insbesondere die Kinder, ein tolles, gesundes Obst zur Verfügung hatten.

Der Gelbe Köstliche bekam aber auch schnell den Beinamen Grüner Grässlicher!

Das Drama war, wenn man immer der Bevölkerung Obst zur Verfügung stellen möchte – das war auch so bei Bananen und Orangen, es gab die legendären Kuba-Orangen, die nicht schälbar und innen vollkommen trocken waren. Sie kamen vom Genossen Fidel Castro, waren aber zu lange auf dem Schiff. Das waren die einzigen für die Normalbevölkerung erreichbaren Orangen, waren aber ungenießbar und hatten auch einen Spitznamen (»Fidels Rache«, Anm.). Natürlich war die DDR nicht in der Lage, zu jeder Zeit frisches Obst in jede Verkaufsstelle liefern zu können. Entweder kam es matschig an oder es war krass grün und ungenießbar. Man konnte zwar sagen, es gibt immer Obst, aber der Zustand war sehr unterschiedlich.

Im Onlinearchiv des Deutschen Historischen Museums habe ich ein Foto von einem Mostglas aus der DDR gefunden (ich zeige es Ronald G., Anm.). Ist es Dir bekannt?

Das ist das absolut bekannte DDR-Weinglas. Das gab es in jeder Gaststätte. Es handelt sich um ein Standard-Industrieglas. Sieht auch nicht alkoholisch aus wie Bier-Bembel oder Weingläser in der gehobenen Gastronomie, die es natürlich auch gab.

 Gab es in der Gastronomie – unter Anführungszeichen gesetzt – Apfelwein?

Wie gesagt, ich wehre mich gegen den Begriff Apfelwein. Obstwein gab es nicht in der Gastronomie, außer in Weingegenden wie Meißen hat man ihn schon mal bekommen. Witzig dabei ist, dass der Meißner Traubenwein so sauer war, dass die Leute lieber Obstwein getrunken haben, weil dieser süßer war. Die DDR hatte eine große Tradition der süßen Weine. Alles, was aus Rumänien und Bulgarien kam, wie Eselsmilch oder Rosenthaler Kadarka, waren süße Weine. In den sozialistischen Ländern gab es keine trockenen Weine. Die ganze Bevölkerung hat freiwillig süße Weine getrunken. Weine aus den Anbaugebieten Meißen oder Dresden waren für die Bevölkerung bitter und sauer und wurden ausgespuckt, obwohl das gute sortenreine Weine vom Landmann vor Ort waren. Aber alle sind durch die süßen Weine versaut worden und niemandem haben daher gute trockene Weine geschmeckt. – Eine vollkommen bizarre Situation. Erst nach der Wende hat sich das durch italienische, spanische und vielleicht auch österreichische Weine, die trocken waren, verändert.

Welche bevorzugst du? Die Trockenen oder die Süßen?

Ich habe nach der Wende eine kurvenlinige Weinkarriere gemacht. Ich habe mit Freunden Italien, Spanien, Frankreich und Portugal bereist und konnte gute trockene Weine kennenlernen. Aber da wir keine Ahnung hatten, fanden wir anfangs Chianti toll, aber ich habe den Wechsel von süß auf trocken sehr schnell vollzogen und bin auch vom Bier weggekommen. Ich könnte nie wieder süßen Wein trinken und bevorzuge auch ganz klar Weißwein, außer an sehr kalten, trüben und trostlosen Winterabenden gibt es auch einen schönen dicken Roten, der nach innen Wärme vermittelt.

Trinkst Du hin und wieder Obstwein, bzw. Most, wie wir sagen?

Ich hatte leider noch nicht die Möglichkeit, österreichischen Most in Würde und Fülle kennenzulernen.

Und hessischer Äppelwoi? Hast oder hattest Du zu ihm Kontakt?

Ich war 2004 bei einem großen Punk-Kongress in Hessen. Das war auch ein Äppelwoi-Wochenende – ging aber für mich gar nicht. Der ist mir zu aggressiv, zu dünn, zu bitter. Äh, Äppelwoi … – ist eine lokale Tradition, kann ich alles nachvollziehen, wunderbar! Die Leute werden davon aggressiv-fröhlich, aber es ist überhaupt nicht meine Baustelle.

Wie ist die Situation in Berlin. Stößt man in Restaurants oder in Bars auf Apfelwein, Cidre oder Sidra?

In der Hoch-Gastronomie sehr wohl. Es gibt ja auch schon einige teurere österreichische Restaurants, aber nicht Most als solchen, da müsste man schon danach suchen.