Poetik des Stolzes
Ich lag verlassen, aber nicht unglücklich. Über allem lümmelte ein stolzer Kleinstadt-Mond. So beginnen alle langweiligen Geschichten. Ich würde nie behaupten: das könnte uninteressant sein. Da ist soviel mehr als zu erzählen wäre. Seltsame Vögel. Zuviel Pathos, zuviel Eitelkeit, zuviel Individualität. Wir waren zu stolz, wir waren zu selbstgewiß. Brüchige Begierden und grandiose Gewöhnungen aus überspannter Überdruß. Tantiemen eines Tunichtgut. Ich floh - als fliegender Teppich. Behielt meine Geschichten für mich, erzählte sie den fremden Winden. Ihr wißt ja schon alles.
Ich wollte nicht gleichgültig werden, war lange Zeit weg und konnte nicht glauben, daß es unmöglich ist zu entkommen. Manchmal dachte ich wirklich, das bliebe mir erspart. Von allen guten Geistern verlassen, trafen wir uns immer wieder, im immer wieder kehrenden Gefühl erfüllter Leere. Rat- und rastlos. Wir nahmen diesen Weg aus Trotz und Stolz. Ich hab mich nicht abgefunden, aber im Schmerz eingerichtet. Wo war die Wut geblieben, wo die Verachtung? Wir wollten nicht hassen, wir wollten stolz und unabhängig bleiben. Wir wollten teilen: Klugheit und Tristesse. Mußten so oft lügen. Wollten stolz bleiben, auf eine Zukunft voller Fragen? Unsere Fremdheit & Freiheit sollte uns aussöhnen mit unseren Gefühlen. Wir tauschten die bunten Abenteuer gegen die silberne Sicherheit ein. Unsere Trauer hatte keinen Namen. Unsere Jugend blieb Sehnsucht. Wir fuhren weg und umher. Waren das unsere Chancen? Haben wir gewartet auf die Welt, war das eine Lösung? Die Ferne ist ein seltsamer Ort.
Immer neue Anfänge: Aufmerksamkeit, Respekt, Solidarität, Solidität, Verluste, Ratlosigkeit, Vertrauen, Verzettelung. Jedem seine eigene Leinwand! Wurden wir träge? Wir wollten nie mehr sein, als das was wir waren, aber aufrichtig. Aber niemand hat gewartet. Trotz all unser Gesten. Wir taten lässig und wurden nachlässig. Wollten nie und nicht ankommen. Das war nur der Anfang. Wir wollten nicht auffallen und bettelten um Aufmerksamkeit. Wir versuchten es mit Lügen, Schönfärberei, Lobpreisungen, Bemäntelung. Stolz und mutlos zugleich. Doch wer glaubte uns noch? Es ging um Ehrlichkeit, Verrat, Selbstbetrug, eben um alles. Und irgendwann wurde auch das egal und jeder hatte sich entschieden. Für eigenbrödlerische Strände und andere Ufer.
Wir schlugen uns vor & durch & zurück. Da wo wir hin wollten, kamen wir nie an. Aber stolz waren wir immer noch. Und versuchten Freunde zu sein. Aber vielleicht hatte der Mond schon wieder gelogen. Vielleicht sind wir älter, als es scheint. Wir sind gute Lügner, jahrelang geschult. Wir sollten wach bleiben im Zickzack des Ungewissen. Auf der Suche nach was...? Ein unausgesprochener, vergessener Schmerz im Tageslicht. Auf der Flucht vor dem Moment. Kein Anlanden in Zuversicht.
r. galenza 09/2002