Meditation & Propaganda
Die Ferne ist ein schöner Ort, nur wenn du da bist, ist sie fort. Also los und hinaus auf den Leuchtenden Pfad! Ging es um Intensität oder Erkenntnis? Die Sehnsucht nach Erlösung? Dem Seelenheil. Konkretes Opium fürs Volk? Oder revolutionäre Trips? Berauschung durch Ernüchterung auf dem Weg in Reine Land? Als Rainer von vielen? In hitziger Fremde auf Weltflucht, begegneten wir uns immer wieder selbst, bis wir auf die Vier Edlen Wahrheiten trafen. Das fühlte sich neu und anders an. Da hatte jemand das Rad der Lehre in Bewegung gesetzt, denn jeder Empfänger ist ein potenzieller Sender. Und die Günstlinge des Regimes sind in Wahrheit desorientiert und verunsichert. Zwischen Hitze, Staub und Monsum-Regenwäldern betraten wir den Weg der Erkenntnis. Auch du liebe Güte! Nein, das meint liebende Güte. Wie immer ging es um die Richtigkeit des eigenen Rausches, diesmal aber als spirituelle Praxis. Dinge gehen kaputt, nicht nur unsere Körper und Hoffnungen. Alles ist Vergänglichkeit und Leid. Das wußten wir schon, stimmte uns aber eher ratloser. Denn hier gab es keine Gnade oder Erlösung mehr. Statt dessen Wiedergeburt, unausweichlich und immer wieder. Auf sich selbst zurück geworfen, fingen die Probleme erst an. Geschichte wird nur noch als Spekulation betrieben und Verschwörungstheorien treten an die Stelle von Utopien und selbstevidenten Wahrheiten. Alles muß superlativisch sein, bis die Sprache verstummt. Kriegsblinde des Alltags.
Da wo wir herkamen, regierten diverse Zerstreuungen. Ich sah das Privat-Fernsehen und es beobachtet mich. Halloween-Nightmare aus Meditation und Propaganda. Das Vokabular ist die Kopie, die Methode Zitat. Unsere Strategie war Persiflage und Ironie. Das ging lange gut und machte was her. So ließ es sich scheinbar sicher aushalten in den Fährnissen der Langeweile und kontrollierter Diskurse. Wir waren Helden der Langeweile! Brachten täglich Trankopfer als Selbstversicherung, das wir das Leben noch spüren. Sangen unsere selbstverliebten Hymen, jenseits jeder Entsagung. Und waren stolz wie Bolle. Caramba! Kennen uns aus in der Macht des Kiezes, der Welt des Geldes, im immerwährenden Tanz der Sinneslüste und den moralphilosophischen Strömungen des Abendlandes. Ein gelebter, sicherer Weg der Mitte an den Echo-Stränden zivilisierter Töne. Das klang behaglich, wir wußten von nichts. Jede Schallplatte ein scheinbar ein neues Universum. Und so könnte es ewig bleiben. Es ging um deftige Bilder, ein Grunzen und Stöhnen gerieten allzu weltlich, im Bewußtwerden eines gebildeten Selbstbewußtseins. Das juckte. Da kreiste noch altes Blut. Unbewußt wußten wir: moralische Monologe müssen mit Leidenschaft geführt werden, in sich stetig steigerndem, liebenden Zorn. Da drehorgelte altbekannt Weltverzweiflung. Aber das kannten wir ja alles schon zu Genüge. Eierlaufen in einer Sackgasse.
Okay, man konnte Tarot-Karten legen, Wasserpfeifen, Bong und Pendel in Stellung bringen, die Sterne auslegen, durchdrehen oder einfach stumm weiter trinken. Immer weiter lesen und noch mehr schnattern. Ein gut geführtes Hirn, das in die Leere hinein philosophiert. Zuletzt gerieten die Gedanken etwas barock. Das wäre zumindest patriotisch putzig und harmlos. Beratungsvorsprung und fette Rabatte auf die Weisheit. Und so leben alle immer irgendwie heiter belanglos weiter als subreflexive Emissäre. Ein Trieb ohne Herde. Jedem sein Theoriedesign. Sie führen das große, immerwährende Selbstgespräch
aus Sprachlosigkeit auf. Und lauschen Wal-Gesängen. Viele schweigen nach innen, andere glauben permanent, sie müßten was auch immer beweisen. Denn Männer verbergen ihre Schwächen aus Image-Gründen. Rührung stellt sich ein, Nostalgie. Scheinheiligkeit macht sich breit. Wundfieber und blühendes Leid. Es gibt kein Ende mehr, weil wir uns in der permanenten Übersteigerung des Endes befinden. Rhapsodisch brausende Philippika.
Das Finden des scheinbar Logischen im Tragischen in der Ruine des Glücks. Die Erfahrungen legen sich als Schleier über Schock, Sucht, Schuld und Sühne. Also Kopf hoch und hinaus ins Fremde und Ungewisse. Wir erreichten den Edlen Achtfachen Weg. Einkehr und Ausblick. Erfuhren höchst selbst die Wahrheit der Leiden. Erkannten uns sofort wieder im Spiegel des Zorns, des Neids und der Engherzigkeit. Da waren sie wieder, die alten, treuen Gäste: Unentschiedenheit, Gier, Verzweiflung und Verwirrung. Die Gesichter der Furcht. Alte, wohlbekannte Fahrensleute aus allen Zeiten. Die Verunreinigungen des Geistes. Auch das nur eine Wiederholung, das immerwährende Gefangensein in den Kreisläufen. Wir versuchten es mit dem nacheifernden Vertrauen in fremde Menschen, in Weisheit und Mitgefühl und Zuversicht. Das ganze Lebenstheater mit seinen Heiligen und Verdammten, Tugenden und Barbareien, mit Sittlichkeit und Verfall, Schönem und Schrecklichem. Als diskursives Fundament einer künftigen universalen Moral. Uns selbst gern zu haben schien plötzlich wichtig und legitim. Heitere Gelassenheit machte sich breit. Verbaler Selbstmord erschien hier als pubertäre Mode. Dann doch sich selbst aushalten und ertragen können. Fürsorge für sich selbst und andere, der Entschluß, frei zu sein. Beruhigung trat ein wie digitale Stille, wie einem Film entnommen. In unserer neuen Ich-Losigkeit erreichten wir das Haus der Vier Edlen Wahrheiten Einst prahlten wir mit Nichtwissen, Illusion, Obsessionen und Träumen und wußten längst von der Unmöglichkeit der Erlösung. Nun aber lernten wir uns anders kennen. Vor uns lag ganz klar die Anatomie der Melancholie. Das Erkennen der völligen Leerheit wurde Glücksmoment. Durch Meditation zur Metaphysik und Erleuchtung. Durch die Deregulierung der Intensitäten gab die eiserne Kette des Schicksals nach. Inklusive eines dramatischen Verlusts an Sozialprestige. Nimm Karma-Pharma.
Aus den Reisfeldern zurück im alten Kernland an den Stegen der Verbitterung. Wo im Dunkel Schlangen und Dämonen hausen. Es wurde nicht leichter. Die immer gleichen Parolen der angeblich pauschal Weltgewandten über Ausbeutung und Begehren, über die Sehnsucht nach Aufgehobenheit und Anerkennung. Das Taumeln von einer Inszenierung in die nächste. Ich verfiel in den pastoralen Sing-Sang des Nichts. Keiner erkannte mich wieder. Erntete den bösen Blick von gutmeinenden Fremden. Aus Angst vor Enttäuschung mit einem Panzer zynischer Rationalität gewappnet. Obacht! Sie befinden sich an der Schamgrenze oder ist das schon Altersmilde? Aber die Menschen waren immer noch die selben: pausbäckiges, selbstverliebtes Siechtum der angeblich Kerngesunden. Die Ent-Idealisierung machte einfach weiter. Berliner Großfressen weltweit, garantiert! Ich jonglierte mit Verbalkreationen, führte Wortführer und Maulhelden in verlustreiche Wortgefechte. Schlimme Szenen eines dadaistischen Sandalenfilms.
Viele gaben auf, also zurück in die scheinbar sichere Provinz, die die Depressionen des Zusammenbruchs der Industriegesellschaft auszuhalten hat. Dort üben sie ihr Leben weiter: Zen-Buddhismus an der Volkshochschule. OM-Kurse. Buddhismus als Aerobic dieses Jahrzehnts. Sammle Altstoffe und Karma. Schlampen-Yoga oder Wo geht's hier zur Erleuchtung? Genieße Yoga bei Saunatemperaturen, für dich und deinen Hund! Dazu leg dir eine entspannende CD ein wie "Siddhartha Cafe" oder "Buhdda Lounge VIII". Das fühlt sich an wie selber atmen an der Töpferscheibe. Denn in unsere hektischen, beschleunigten "Western World" gibt es nur wenig Raum für ruhige, entspannte Momente. Verstehe. Und schon verwandelt sich deine unerklärliche Welt in einen Raum voll Harmonie und Ruhe. Ach so geht das? Ich fühl mich gleich so vital und bei mir selbst. Oder zumindest zentrifugal, polyvalent, metro-sexuell oder so ganz komplex und offen. Ich nenn das fundamentalistische Scharlatanerie. Liberalismus und Inquisition reichen sich die Hände. Kein Streß, wir sind ja alle voll tolerant. Und grüßt mir bitte die kleine, heimliche Buhdda-Industrie. Was nur hat all das mit der alt-asiatischen Meditationstechnik zu tun? Könnte man fragen. Falls man wollte. Sprach Witwe Bolte. Und begann mit der Revolte. Von allen guten Geistern verlassen, die Verhäßlichung der Welt machte einfach weiter.
All the voices in my head. Tugendwächter, Dämonen und kognitive Gespenster der Beliebigkeit. Kommunalpolitik verachtend, wurde es jetzt richtig wild: Hier wurde globales Weltwissen eingemeindet. Eine lustige Barbarei, die sich mit zu tun lohnen sollte. Beim Eintreffen der Dämonen hieß es dann wie immer: fliehe weit und schnell. Junge, mittelalte, weiße Männer dichten Texte und Toiletten. Ballern um sich mit Balladen. Den Biographien gehen die Bruchstellen aus. Euphorische Erinnerungskulturen und Historien-Schick. Kalif oder Ketzer? Jemand lacht. Techno hatte sein stalinistisches Zeitalter erreicht und remixte zweitausend Jahre alte Weisen. Diese New-Age-Spiritualität bis zum Hedonismus des Dalai Lama, bedient als eine harmonische Religion inzwischen den verzweifelten Vergnügungshunger nach einer "Kultur exotischer Schönheit". Auf das für immer irgendeine Sonne scheine. Eigentlich war jetzt längst alles ebenso banal wie egal. Spirituelle Bedürftigkeit breitete den weiten Mantel aus. Weltflucht ging wieder. Der Mangel wurde schön.
Immer nachts, wenn sich die Enden großartiger, bebender Songs zu neuen Enden verknüpfen, wird das Licht heller, das Leben größer, alles schwillt und ruft nach Erlösung. Yeah. Yeah Licht und Liebe? Schön wär's ja, statt dessen: Demagogie und Verblödung. Eine Sehnsucht nach Schüssen kam auf, die Schauplätze wechseln. Das Elend ist immer dasselbe. Man möchte Herzen tauschen.
Electric Karma Galenza, Berlin