Gebrüll aus Jahrtausenden

Ich wanderte weiter im Zickzack durchs Grenzland. Sonnenwund und wolkenweich. Ich schrieb Geschichte. Meine eigene. Fußtritte und Schweißspuren. Blendend weißes Licht, imaginäre Mauern der Helligkeit. Erhabenheit. Zweifel aus Dunkelheit. Ich wandelte zwischen Zeit und Zweifeln unter Sonnen aus Eisen. Sand im Herzen. Drehte am Sehnsuchts-Kompaß. Meine Handflächen waren die Karten der Welt. Sandtürme der Einflüsterungen. Ich ging. Immer weiter. Die Horizonte flohen flink, ich irrlichterte durch die Geographie. Ein ritualisiertes Reisefieber.

Ein Singsang der Erinnerungen. Das Gebrüll aus Jahrtausenden. Das immerwährende Schweigen. Wieder fiel ich auf mich selber rein. Aber: ich stand auf und verlor mich erneut. In den gierigen Gebeten all der Unwissenden. Apokalyptische Akkorde aus Leid und Schmerz verhallten in den Feldkirchen des Flüsterns. Biblische Beichtstühle bibberten in den Winden des Weinens. ER erschien als metrologische Schönheit – ein narrativer Gottesbeweis. Ich war der Antipapst, ein unsichtbarer Feind in den Wolken.

Vorwärts ins Nirgendwo. Und in alle Richtungen! Der Weg war längst die Qual. Hier ging es um nackte Überleben. Voll bekleidet. Ha, war das schon alles? Ich geriet in einen Rausch. Wer sprach da und gab Zeichen. Die Leichen? Ach, ich nur. Also Philosoph meiner Selbst? Metabolische Metamorphosen. Auf der Suche wonach? Trost und Labsal? Versprengten Zauberern und Medizinmännern? Aber was wußten die? War das die endgültige Angst vorm Ich und Selbst? Pasteurisierte Phantasie. Nihilistische Naivität. Irgendwas lief schief. Unterwegs zwischen den Jahrhunderten wohlmeinende Wortwechsel, Wegezoll, sekularische Sprachbarrieren, Wandel durch Annäherung. Weltweit Gestalten aus Klischees und Kummer. Verächtliches Versagen allerorten. Kein Freispiel drin.

Ich wurde unsichtbar in der Mondschattenwelt. Meine Barke trug mich an die Ränder der Scheibe. Wir trafen uns in den Bars der Bärtigen, bar jeden Hellers. Vermummte Verräter, mongoloide Mongolen, syphilitische Syrer, anarchistische Abchasen, kauzige Kaukasier, trunkene Turkmenen, lustige Lofoten, lärmende Lappen, balgende Basken und zölibatäre Zulu. Wir soffen die Sterne vom Firmament. Zahlten mit Barrel. Erfanden uns neu und blieben doch die alten. Fluchtpunkt Null. Oder lall. Was fühlten wir uns tapfer...

Keine Menschen mehr, bitte. Haptisches Atmen und Flehen. Ich prüfte die Schrift nach allen Auslegungen und verachtete die Gesetze. Gänzlich gesetzlos vertraute ich mich dem Papier an. An einer Pier dealte ich mit Gier. War das der Ort, wo meine Träume spielten? Leitmotive, Oliven, Waffen. Ganze Lebensläufe, Rentenfonds, Schuldige und Organhandel unter Orangen. Überall und ewig Flaneure, Doppelgänger, Geldfälscher, Nutten, Leichtmatrosen und Katzenhaie. Auch hier: Zöllner und Anwälte, Lebensmüde und Prokuristen, Milliardäre und Losverkäufer, ein Nichts und ein Niemand.

r. galenza 23.06.2001