Die Ankunft der Zweifel

Die Salven peitschen. Lärm. Die ersten Erschießungen im Innenhof. Rädelsführer und Kradmelder zuerst. Dann die Nichtsnutze und Tunichtgute. Statisten einer Revolte wegkartäscht. Das Arbeitsamt säubert die Statistiken. Danach absolute Funkstille. Die Betäubungsmittel-Industrie greift ein. Gleißendes Licht einer sozialen Befriedung. Es ging um den Sozialneid der Mittelschicht. Binnenpolitik der Wohlfahrt. Wir hielten festliche Feldgottesdienste ab, voller symbolischer Pietät und Frivolität. Die Schalmeien der Bolschewisten barmten. Es wurde geweint und gelacht, gesoffen und gelogen. Kassenbewegungen der Kausalketten. Good bye Speckgürtel. Hallo Hüftgold.

Komplexe und Geltungssucht im Weißweingewissen. Haltlose Debatten. Die Welt wurde verratbar. Mentaler Kapitalismus. Und dann lachten wir los. Über die böse Gegend hier. Rauszugehen wäre unklug nach all diesen Jahren. Defloration und Konspiration lauerten. Viele tot oder nie zurück gekehrt. Als würden wir leben. Jeder Schritt ein Schnitt. Die neue Wahrheit war einfach da. Wir zweifelten an jeder neuen Erkenntnis, der Zweifel trug uns weiter. So wurden wir Gäste im eigenen Haus. Ab da wurde es mandelbitter und schamlos. Egal was wir träumten. Ein Hang zum Pessimismus machte sich breit, als wüßten wir schon zuviel von allem.

Ein Weg einmal durchs halbe Leben ohne jedes zurück. Das roch nach ewigem Ende, nicht Zukunft. Feldstecher in Nichts. Oder könnte doch noch etwas gehen im Bohemy Berlin? Ein bißchen rum-rebellieren an der Diktatur des Geldes. Geschmacksfronten in der neuen Mitte. Wir lauschten staunend der Wärme der Maschinen, als wären das Schwämme des Trosts. Guten Tag, Nacht. Blendende Scheinwerfer an den Ufern der Verwertungszusammenhänge. Berechenbar wie verlogen. Kalte Eisen in der Nacht. Aber dann: ein Jung-Frau-Marien-Erscheinungs-Zeugnis. Beim Barte des Propheten: plötzlich liefen wieder die Feten & Käthen. Jetzt wurde zurück plakatiert!

Ein behagliches Unwohlsein machte sich breit. Aber wir kannten die Orte. Man organisierte die alten, vergessenen Gesichter und bildete Fahrgemeinschaften zu den Bauernkaten des Glücks weit draußen auf dem Land scheinbarer Befriedung. Storryteller und Hofnarren waren wieder gefragt. Die radebrechten vom goldenen Zeitalter und lobpreisten die Umbrüche des Umbruchs. Ein immerwährendes Low-Fi-Rauschen. Gesoffen und angebändelt wurde wie vormals. Oft wurden wir ohne Not melancholisch. Als Hopfen und Malz noch nicht gegoren waren. Viele redeten, hatten aber nichts zu sagen. Es roch nach Moral und Schadenersatz. So schlug die Zeit ihre Haken und die Tapfersten gingen voran.

Ebenso hätten wir erzählen können von den Menschen unter uns. Geschichtenerfinder vor den Billigmärkten, ausgebuffte Schnorrer und Leidensmusikanten. Die verlorenen Moritaten-Sänger an jeder aufgegebenen Ecke, die Lambrusco-Säufer in den Bahnhöfen. Die verlorenen Philosophen, die wider das Schweinesystem und Ent-Solidarisierung predigen. Und die Andalusien-braunen Gesprächsverwickler vor den Kaufhallen. Ein Kanon aus Geschichten und Verlorenheit. Die verstummten Gesichter der verlorenen Proklamateure. Die stillen und lauten Trinker aus den eigenen Reihen, von denen so mancher zu früh verzagte. Ein Aufbruch als Scheitern. All die Spinner, Fakire und Esoteriker mit ihren Sternen-Ausreden unter Mond-Idylle. Mediterrane Dufthäubchen auf Wasserpfeifen. Den Sommernachtsträumen und Plasteschäumen. Geheimwissen über den Fahrplan des Weltgeschehen? Glückskekse unterwegs.

Die Ideale gingen flöten und haubitzten die Realität. Das Ende aller selbsterbrachten Dienstleistungen. Vermassung der Vereinzelung. Ein perfektes Leben als fröhliche Idyllik der Massenabfertigung der gemeinsam erlebten Einsamkeit. Aber so mancher nutzlose Curry-Tag wurde einem zum Freund. Die Parks uferten aus. Marodierendes Treiben der Monaden in selbstgewählten Scheinwelten. Unter der Flagge der Individualität trat man jetzt gegen einander an, im Tanz ums Goldene Kalb. Wie immer ging es um Reichtum an eingenommener Aufmerksamkeit. Irgendwer verlor immer. Aber Flaschengeister hausen an jeder Ecke.

Ehe wir uns besannen gingen wir spannen. An der Peripherie des Glücks gab es Obligationsscheine für die Auskenner und Bescheidwisser. Der Lack ist ab an den Lackaffen. Denn das ist längst der Deal für alle Entrechteten. Erigierte Einzelkämpfer entern die Tresen. Aber Obacht! Die Straße der Besten liegt verlassen.

R. Galenza 26.11.03