Corso der Lichtgestalten
Wir waren draußen aus allem, wir waren die Komparsen eines nicht enden wollenden Road-Movies. Mittellos und aufgegeben, schwammen wir im Offenbarungseiter. Marodieren am Bundespresse-Strand und waren unten mit dem King. Wo war sie hin, die gute, blinde Wut, die Zweifel? Die wundreformierte Seelen der Tariflöhner und Ich-AGs allzeit wieder bereit zum täglichen Kampf. Als Sieben-Tages-Adventisten. Wurden stille Bluter an der Gesellschaftswunde. Gerieten in Sippenhaft und schwindelnde Höhen. Die haben uns über alle Kämme balbiert. Wir gingen stiften. History Recorder. Wir badeten im Komischen, tranken hemmungslos Billigsekt und Sonnenmilch und rasteten ratlos im Rahmen unserer Unruhe. Ich traf die Kleingeldprinzessin und die Pfennigfuchser. Wir probten den sparkassenhaften Umgang mit dem Leben in einer verharzten 3-Groschenoper.
Hatten fast alles verloren, außer Würde und Stolz; immerhin. Und die junge Faust verhieß Rache. Im Suff fühlten wir uns unbesiegbar. Genau wie damals, als wir jung und doof waren, aber das ist eine Reise ohne Führung. Im Schatten des Saturn zogen wir in ungewinnbare Scheingefechte. Schattenboxer der Ökonomie der Verausgabung und berechenbarer Niederlagen. Aber im Leben muß wohl jeder alles wieder selbst neu lernen. Denn es ist einsam da wo die Götter hausen, diese Banausen. In Äther und Stahl. Die Nähte der Nächte platzten. Wir gaben uns die grelle Kante. Selbstgespräche in die Ewigkeit hinein. Das waren unsere Worte, ins Nichts hinaus posaunt.
Unsere Adresse unbekannt, blinde Briefkästen, unbekannt verzogen und ungezogen. Einem imaginären Licht entgegen. Schneller als jeder schäbige Schatten. Prälaten einer Spiegelung. Einem Tag ohne Nacht. Das klang wie eine Melodie aus irgendeiner unbestimmbaren Ferne. Weil die Zeit sich so beeilt. Darum bin ich abgehauen. Ans immer endlose Meer. Dort hab ich gelacht und konnte nicht mehr aufhören. Die Stadt schrie da draußen erleuchtet weiter. Eine lange Näse der Revolutions-Genese. Keine Pinunse und prekären Perspektiven. Verhuschte und verhunzte Bilanzen. Alles ist erleuchtet. Dabei wollten wir Planeten gebären.
Tage wie Fremde. Wir beschissen die Geldautomaten, stolz wie Bolle. Bevor man es merkt, ist man auf der Flucht. Denunzianten und die Kiezmiliz griffen an. Trainingshosen kreisten, Ballon-Seide imitierte Gerechtigkeit, Büchsen-Bier zog den Ring enger. Triefende Tölen schnauzten. Mondän glänzende Country-Songs von irgendwo. Die Rezension hält die Familie intakt. Oder so. Wir machten die Katapulte klar und kartätschten zurück. Ein mattes fahles Gelb über der Stadt. Du kannst rennen, aber du kannst hier nicht weg. Hey, Hey, ein heart of gold. Nicht satt, nicht glücklich an diesem Tag. Und die Nacht sang ihre sonnenhellen Lieder, wir sollten glücklicher sein. Denn Regen zieht vorbei. Auf ihren Parzellen des grünen Glücks weit draußen warten die Freunde immer noch auf morgen. Nur leichte Weine und tolle Monologe. Nennen wir es Spaßkampf in Utopia. Weit draußen rennen so viele hinter sich her und plötzlich liegt der Weg schon hinter ihnen. Illuminaten auf dem Weg in eine bodenlose Nacht hinein. Seid bitte nicht bange.
Wir agierten labil wie instabil. Schlichen durch unsere Stadt, in der die kalten Funktions-Glatzen verunsichert schimmerten. Ein Stammeln und Stottern in den teuren Cafés an jeder neugeborenen, stumpfen Ecke. Diese Labtop-Hysterie an eigentlich unschuldigen Tischen. Die Wichtigkeit schäumte strahlend. Ich erkannte diese geliehene Rhetorik. Da war die Nacht noch hell. Eine melancholische Metaphysik der Medusen. Scheinbar rhapsodische Erörterungen voller strenger Heiterkeit, man durfte ja nicht angeben oder prahlen. Und jeder wußte das. Und kannte die unstillbaren Blicke um Aufmerksamkeit dazu. Sahen aus wie angenehme Idioten, verloren gegangene Scheinheilige. Eine großartige Leere tat sich auf, eine sicher erscheinende Ungewißheit. Diese Ahnung von grandiosem, vollständigem Scheitern. Auch das konnte jeder spüren. Die wachen Zyniker schwiegen schlau, nur die Schwachen bohrten weiter in sich rum. Wer noch fühlte, spürte diese Ohnmacht, ebenda angekommen zu sein. Sie ritten jedes Klischee zu schanden. Kein Freispiel drin. Träume gerannen zu Tiefschlaf. Das war der Punkt der Aufgabe, eines Ankommens, das unausgesprochene Ende. Und die meisten ahnten das. Man war überraschend in die Dämmerung gelangt. Nicht mal mehr unsagbarer Trost blieb. Der Schmerz wurde wortlos. Hier brachen Herzen für immer. Dieser fahle Schein aus müden Gesichtern. Urbane Einsamkeit machte sich breit und wurde breiter. Konfliktmeditation.
Wir dagegen zitterten stolz, wohlwissend, gefangen in den Geräuschen der Räusche. Kummer braucht Gesellschaft. Und Hoffnungen auf Erlösung. Denn das Heilen wird von denen besorgt, die gar keine Verletzungen erlitten haben. Einem Licht entgegen als Religionsersatz. Unterwegs in den Abgründen der eigenen Schwächen, den Hemmungen der Romantiker. In die Momente der Tatsachen. Dieses sich nicht verzeihen können. Wir schliefen schneller und rannten um unser Leben. Genutzt hat das nix. Denn das Einfachste blieb das Leichteste. Die Karriere einer Sucht. Süffige Portwein-Philosophereien als Gedicht verkleidet. Plappernde Erzählungen als Pernod-Phantasien. Absinth-Apokalypsen, Becherovka-Battles, vandalistische Vodka-Räusche. Rum-Rempeleien und Whiskey-Wirnisse. Aber die heilen kein Herz. Wir küßten die Schaumkronen von allem. In dem Verlangen nach sich selbst. Und all dem Verlorenen.
Die Möglichkeiten klirrten, aber die Sterne wurden zu Staub. Wenn ich traurig sein wollte, wurde ich traurig. Soviele kundige Helfer da draußen. Die den Schmerz noch nicht kannten, aber meine grimmigen Blicke. Worte und Lächeln wie gutgemeinte Pflaster aus Trost. Junge, getriebene Gesichter voller Altersarmut. Aber ich versuchte, den Wind zu küssen. Und der hielt nicht still. Es gibt zuviele Löcher im Leben, seine Erfahrungen kann man sich wohl nicht aussuchen. War nicht mehr Herr der Dinge. Ich hab mein Alter längst vergessen. Währenddessen haben wir das Ende der Nacht verpaßt. Pustekuchen. Es blieb ein illuminierendes Verlangen, wie ein Wind in den Narben.
Wir bekamen Hunger auf Worte, ungesagte wie falsche, egal. Auf der Suche nach der Wärme des schimmernden Glücks wie Leuchtspur-Munition. Erleuchtete Gestalten und komplexe Betrachter voller Geschwätz. Von Immerdar nach Nirgendwo. Nur glücklich woanders: in Debatten, in Beziehungen, an Orten, auf Kontinenten. Der gute, alte, unbefriedbare Ödipalkampf. Sehnsucht oder Penisfechterei auf hohem Niveau. Das Roulette des kleinen Mannes. Dicke Dinger eines Selbstbetrugs. Auf der Suche nach Erleuchtung und Erkenntnis, dabei diese Ahnung von grandiosem Scheitern. Alles Penislieder. Dunkelheit in ihrer reinsten Form legte sich über alles. All die Leuchtfeuer von früher dahin, wo die Erinnerungen wohnen. Die heimlichen, schüchternen Signale für immer verpaßt. Unter einem Firmament aus Unsicherheit und Ratlosigkeit wurden aus Träumen Ruinen. Wir hörten auf zu tanzen. Die Sommerregen wurden kälter. Ich suchte das schimmernde Weite unter gottlosen Peitschenlampen einen dunklen Mauerweg entlang. Verloren glimmten Zündhölzer.
Wir kamen uns näher. Und lernten zu lügen. Ich hab diese Welt nicht erfunden, aber das Mehl wurde trocken. Erinner dich. Die einst unbeholfenen, elektrischen Botschaften wurden kürzer und kalt. Was hatten wir noch zu sagen? Vielleicht liebten wir uns zu sehr. Uns wurde eng in unserem Leben. Dieser Lichtschein schimmerte so verführerisch. Festbeleuchtung aus köstlichen, künstlichen Quellen. Blitzgefühle und Beschwichtigungen weltweit. Der Horizont wurde weiter, ebenso wie enger. Ein Osram-helles Glitzern. Aber wir waren immerhin dabei. Das roch nach Bohnerwachs und Fortschritt. Egal in welche Richtung. Geruch und Worte sind soviel eindeutiger. Wie Licht und Schatten. Mein Mitgefühl bei denen, die naiv genug sind. Als Teil einer Gemeinschaft. In eine Zukunft ohne Sehnsucht nach dem Höhepunkt, Kicks und Ablenkung. Wie eine sonnenhelle Welle, die sich am Ufer bricht. Es ging um Respekt. Wir wollten uns nicht verletzen. Aber alles wiederholt sich: Euphorie und Schmerz. Dabei kannst du überall Liebe finden. Wie einen Strahl aus Licht, das so schnell zerbricht. Ich wollte nur immer irgend wohin. Und all die Dinge, die da scheinen und sich ohne Zärtlichkeit berühren. Wie die Menschen.
Flexibel bis zur Selbstausbeutung, ging es um Gerechtigkeit auch an Werktagen. Hast und Eile grassieren. Ohne Rechte keine Würde. Denn Abhängigkeiten deformieren. Diese kleine, beschissene Welt. Jeden Tag eine scheinbar neue Sonne. Im ersten Licht schlichen wir uns davon. In den Spelunken des Schweigens lief so manche Schurkerei unter zweifelhaften Talenten. Scheinheiligkeit machte sich breit. Dunkelmänner agierten. Die dealten Leuchtreklame und Illusionen. Ach Sonnenschein! Tagehüter in ewigem Licht. Die Geschichte hat Freigang und kehrt auch nicht mehr zurück - die Renaissance des Billigen. Auch die Dummheit agiert längst global. Die Sonne eiert besoffen drum herum. Dieses Wunder konnten wir nicht aushalten. Und so was bleibt nicht lange geheim. Das Leben als nicht endende Prüfung. Vaganten voller elegischer Energie. Scheinwerferlicht verhieß Freiheit. Und wie fühlt sich das an? Schöner als Licht?
Es gab keine Versicherung gegen die Einsamkeit, die sich im Alltag einnistet. Die zu einem Karzinom immerwährender Leere wuchs. Eine verblichene, liebestrunkene Agonie, das fühlte sich an wie baden bei Gewitter. Da nagte wieder diese unstillbare Sehnsucht nach einer Musik, die einem das Herz brechen kann und in unbegründbare Verzweiflung stürzt. Das Verlangen wurde der Ort, an dem wir uns ruinieren. Ich fing an, mich zu verlieren. Übrig blieb ein Mixtape. Wir üben uns als Gedankenflaneure und Zeitverschwender in einem melancholischem Dauerscheitern an den Rändern der Räusche. Der Weg war nur noch ein Zögern. Ich erinner mich an alles. Die Zukunft heißt nur noch:
// Später.
Vielleicht.
R. Galenza 27. Juli 2004