X-Mal! – Musik zur Zeit

 

Wir waren This Pop Generation dazwischen

Im Herbst of Peking wurden wir Neun Tage Alt und Tina hatte keinen Teddybär mehr. Unsere Gang wuchtete 1000 Tonnen Obst in den Demokratischen Konsum. In einem Rosengarten spannten wir den Expander des Fortschritts für die Wartburgs für Walter. Waren ganz staatssicher nicht Die Firma, immerhin aber Skeptiker. Arbeiteten als Untergrund-Brigade im Big Savod mit dem großen Manko als Dead Ulbrichts. Electro Artists verschönten uns Ornament & Verbrechen.

Die Freunde der Italienischen Oper jublilierten, Die AG Geige webte Kashmir. Die Art hatte keine Ich Funktion. Im Neubautgebiet Sandow gab es keinen Electric Boogie. Unser Ska-König hieß Michele Baresi, er ritt mit dem Torpedo Mahlsdorf davon. Soviel Aufruhr zur Liebe in öffentlicher Einsamkeit war nie. Das war Die Vision. In den Wendewirren sandte uns der marode Westen Schwefel und die Freiwillige Selbstkontrolle.

Wir sind die anderen.

 

Die erste Independent-Disco Ost-Berlins

 

Die Idee reifte auf einem Kahn. Gegenüber qualmte das Kraftwerk Klingenberg. Dort machten sie die giftigen Wolken für morgen. Auf einem ausrangierten Schlepper hielten müde gewordene Langhaarige Musik-Vorträge über die Untoten des Rockzirkus: Pink Floyd, The Doors, Led Zeppelin. Das haben wir uns geduldig angehört. Aber wir waren zu jung und aggressiv, das auszuhalten. Also zogen wir die Unterwanderungsstiefel an.

So fing alles an.

m Januar 1986 sollte im damaligen Kreisjugendklub „Pablo Neruda“ auf der Insel der Jugend in Berlin-Treptow die Sieben-Tage-Woche für Veranstaltungen eingeführt werden. Das war die Geburtsstunde der Reihe „X-Mal!–Musik zur Zeit“, die von einem Freundeskreis  ins Leben gerufen wurde und sofort großen Anklang beim Publikum fand, da die gebotene Musik der Independent-Szene zu dieser Zeit in der Hauptstadt der DDR offiziell überhaupt nicht präsent war. Es existierte damals kein Klub, der den unkonventionellen Klängen eine regelmäßige Chance gegeben hätte. Denen blieben bis dahin nur die Hinterhöfe und Gartenparties. So war „X-MAL!“ die neue Reihe, die sich der schrägen Gegentöne annahm und sie fortan förderte und unterstützte. Allerdings gab es seinerzeit oft  heftige Diskussionen, weil einigen Verantwortlichen im Club und Stadtbezirk Art und Aussehen des Szene-Publikums nicht schmeckte (Punks, Grufftis, Künstler, Individualisten). Organisiert und umgesetzt wurden die feuchtfröhlichen Abende von einem freiwilligem Kollektiv aus hochmotivierten Freunden und Freundinnen, die Einlaß, Tresen, PA usw. selbst besorgten. Wir wollten einfach dabei sein.

Die Veranstaltung lief  jeden ersten und dritten Sonntag des Monats von 18 bis 23 Uhr! Am ersten Sonntag wurde ausschließlich Musik von schlichten ORWO-Kassetten gespielt, die vorher bei den Radiosendungen von John Peel (BFBS), Burkhard Rausch (Rias 2) und beim SFBeat von den beiden Kassetten-Jockeys Ebi Fischel und Ronald Galenza mitgeschnitten wurde. Die ersten 60 Minuten standen immer unter einem bestimmten Thema wie zum Beispiel Noise Pop, The class of 86, Neo-Folk, Down Under-Indieszene in Australien/Neuseeland“ oder beschäftigten sich mit wesentlichen Künstlern wie z.B. The Smiths, The Fall, The Cure, Patti Smith oder Nick Cave. Neben der Musik, gab es Informationen über die Bands, neue Trends, Tendenzen usw. Die gespielten Bands wurden per Diaprojektor auch visuell sichtbar gemacht, dazu natürlich vorher aus West-Zeitungen abfotografiert.

Ein wesentlicher Bestandteil war das Vorstellen von Demo-Kassetten der hiesigen Bands, die bei X-Mal! auftreten wollten. Da im Rundfunk der DDR (bis auf Lutz Schramm´s „Parocktikum“ bei DT 64) solche Musik nicht gespielt wurde, waren Live-Auftritte der einzige Weg für die Bands an Publikum zu kommen. Die restlichen drei Stunden gab es dann immer frische Tanzmusik von Gitarren-Rock, Punk, Wave über Grebo, HipHop bis zu Ska & Reggae.

Das erste X-Mal!-Live-Konzert, wie alle folgenden von Lars Wünsche organisiert, fand am 23. Februar 1986 im völlig überfüllten Kreiskulturhaus Treptow statt. Neben den Bands WK 13, Die Art, die anderen, KomaKino (später Die Vision) trat als Überraschungsgast Billy Bragg auf. Der weilte an diesem Tag, als Spitzenreiter der britischen Independent-Charts (!), diesseits des Eisernen Vorhangs beim „Festivals des politischen Liedes“ in  Berlin.

Danach spielten in der Regel jeden dritten Sonntag zwei bis drei Bands pro Abend auf. Die Gruppen hatten ihre Wurzeln meist im Punk und New Wave und betraten oft musikalisches Neuland. „Hier ist das Experimentierlabor unserer Rockmusik, werden neue Trends erprobt und live getestet“ schrieb P. Zocher damals im ‚Blatt des Komitees für Unterhaltungskunst’.

Bei X-MAL! traten bis auf Feeling B alle Bands auf die in der Szene einen Namen hatten u.a. Sandow. Herbst in Peking, Ornament & Verbrechen (heute Tarwater), Electro Artists (später Fleischmann), Die Firma, Der Expander des Fortschritts, Wartburgs für Walter, Die Skeptiker, Der Demokratische Konsum, Freunde der Italienischen Oper, Electric Boogie Crew, AG Geige, Kashmir, Tausend Tonnen Obst, Tina Has Never Had A Teddybear, Ich-Funktion, Michele Baresi, Torpedo Mahlsorf, Rosengarten, Big Savod & The Deep Manko, Dead Ulbrichts u.v.a.m.. Ab Anfang 1989 wurde es sogar möglich, Bands aus dem Westen einzuladen,  Es war ein mühseliges Bitten und Betteln, aber immerhin spielten dann Schwefel (BRD), Volume Unit (USA), Chambre Jaune (NL), PRIMEVALS (UK), Stan Red Fox (USA/BRD) und in den Wendewirren die Freiwillige Selbstkontrolle aus München.

„X-MAL!“ war ein Pilot-Projekt und wurde so Vorbild und Antrieb für andere Clubs. Es war auch ein wichtiger und notwendiger Treffpunkt für junge, interessierte Musiker, Medienleute und Fans, die sich hier informieren, austauschen oder neue Projekte aushecken konnten. Die Veranstaltung wurde schnell zur führenden und wichtigsten für die neue Rockmusik in diesem kleinen Land. Der Name X-Mal! wurde Anfang der 90er über Bord geworfen, der Spirit aber blieb. Die Insel Konzerte und Partys sind längst legendär.

Galenza & Fischel