Verwende deine Jugend oder: Die distanzierte Generation
2. Vorwort zum Buch "Wir wollen immer artig sein" 2006
Rückblende: Die Subkultur in der DDR war Ausdruck einer Jugendkultur, die sich von der offiziellen Staatskultur absetzte und eigene, autonome Kommunikationsräume beanspruchte. Für das SED-Regime und sein eng begrenztes Verständnis von Gesellschaft und Kultur bildete die Musikszene damit eine Bedrohung: Sie stellte die Autorität und den Kontrollanspruch der Staatspartei und ihrer Jugendorganisationen in Frage. Die SED-Führung, die ihren Zugriff auf die nachwachsende Generation gefährdet sah, reagierte mit einem geradezu pathologischen Sicherheits- und Abwehrdenken. Mit dem Aufkommen von Punk ab Ende der siebziger Jahre verschärften sich die Maßnahmen gegen renitente Jugendliche. Die politische Lage war brisant. 1979: Einmarsch der Russen in Afghanistan und der NATO-Doppelbeschluß: Pershing gegen SS 20-Raketen. 1981: Verhängung des Kriegsrechts in Polen. Punk in der DDR wurde zu einem Drama, gekennzeichnet vom kollektiven Ausbruch aus einem erstarrten Leben, ein mutiges Aufbäumen gegen die allumfassende Leere Anfang der achtziger Jahre.
Eine Subkultur in der Diktatur, das konnte nicht gut gehen. Punks, Skinheads oder Heavy-Metal-Fans standen im Visier der Staatsmacht und wurden von Polizei und Staatssicherheitsdienst mit wachsenden Repressionen konfrontiert. In den Augen der SED-Führung und ihres Sicherheitsapparats bedeutete diese Entwicklung vor allem eine Zunahme an "feindlich-negativen" Gruppierungen. Offiziell war von einer Randgruppe die Rede, um zu suggerieren, es gäbe nur kleine Probleme an den Rändern der DDR-Jugend, die große Mehrheit aber stehe fest im Glauben an Partei und Staat. Das MfS erkannte die politische Brisanz der Subkultur, Punks wurden zu Freiwild erklärt. Repressionen sollten zur Auflösung der Szene führen. Ungeachtet der offiziellen Einschätzungen und Abwertung von Punk verbreitete sich die unangepaßte Subkultur weiter, die Zahl der Punks, Aussteiger, Freaks, und Eigensinnigen stieg an. Sie sahen sich in ihrer ablehnenden Haltung gegen den Staat bestätigt, von dem sie sich innerlich längst verabschiedet hatten. Ihr Traum einer freien Gesellschaft basierte auf Idealen, die sich in der Realität der DDR in keiner Weise wiederfanden. Soziologische Studien gehen davon aus, daß lediglich fünf Prozent der DDR-Jugend subkulturellen Gruppierungen zuzurechnen waren. Sie bildeten die distanzierte Generation, die konsequent den Ausstieg aus den bestehenden Strukturen vollzog.
2001 erschien Jürgen Teipels Dokumentation "Verschwende deine Jugend", das die Anfänge von Punk und New Wave in der alten Bundesrepublik beschreibt. Die mittlerweile erschienene CD-Compilation "Punk Rock BRD" versucht die Geschichte des westdeutschen Punk zu erzählen. Die deutschen Unterschiede sind gravierend. Im Osten konnte man Punk nicht konsumieren, nur selber machen. Wohl nirgends in der Welt wurden die Punks zum Thema staatlicher Politik wie hier. Das Bemühen Jugendlicher, sich aus Outfit, Musik und entsprechenden Verhaltensmustern eine ganz eigene Lebensart zu kreieren, zog massive Reaktionen des ganzen Staates nach sich. Die internationalisierten Stile der Jugendkulturen eröffneten die Möglichkeit, im Alltag einen teilweisen Ausstieg aus der DDR-Realität zu leben und symbolisch Widerstand zu üben. Punk wurde konstruktiv im Sinne eines selbstbestimmten Lebens verstanden, in dem die lustvolle Abgrenzung gegen Normalbürger, die Eltern und andere Jugendliche eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Dies drückte sich schon am 1. Mai 1978 beim Volksfest auf dem Berliner Alexanderplatz aus. Eine Gruppe Jugendlicher wollte sich, wie sie sagten, als Punks aus Köpenick mal so richtig austoben. Bestückt mit Aufnähern, Sicherheitsnadeln und Ketten zeigen, daß es sie gibt. Außerdem ging man zum Alex, weil man sehen wollte, "ob genauso viel los wäre wie am 7. Oktober 1977". Wegen Absingen der Zeilen: "30 m im Quadrat / Minenfeld und Stacheldraht / da wißt ihr wo ich wohne / ich wohne in der Zone" wurde ein Jugendlicher aus diesem Kreis festgenommen. Wenig später adressierte man seinen Protest noch direkter. So sprühten Punkanhänger in den Morgenstunden des 13. August 1981 nicht ungestraft an einen Zaun in Berlin die Losung: "Langsam werden wir sauer, 20 Jahre Mauer". Wurde die erste Generation junger Punks bis 1984 durch Ausreise, Gefängnisstrafen und Einberufung zur Nationalen Volksarmee weitgehend dezimiert, blieb das Thema Ausreise auch danach ein permanent zentrales. Die erste große Ausreisewelle fand 1984 statt, viele Kreative aus der Subkultur wechselten die Systeme. Dieser Trend verstärkte sich mit den Jahren noch drastisch. Hatten 1987 bereits 18 958 Menschen die DDR verlassen, waren es nur ein Jahr später schon 39 832 Personen. Und sie hinterließen spürbare Lücken. Keine Zukunft zu haben, kann mitunter ganz schön lange dauern.
Bei der Plazierung von IM in der Szene war die Stasi recht erfolgreich, sie hatte es dabei zumeist auf die Zentralfiguren der Szene abgesehen. Die Basis dafür bildete ein IM neuen Typs, der nicht nur aus der Beobachterposition heraus berichtete, sondern innerhalb des Geschehens stand und selbst aktiv war. Die Pläne für diese perfide Art neuer IM zur "Bekämpfung gesellschaftswidriger Verhaltensweisen Jugendlicher" ließ das MfS in seiner Juristischen Hochschule bei Potsdam ausarbeiten. Hatten sich in der Folgezeit der Wende einige in den Bands involvierte IM wie bei Die Firma selbst geoutet, wurden einige wenige andere durch Recherchen von Journalisten enttarnt. Wieder andere zogen es vor, dauerhaft zu schweigen, um ihren Verrat nicht offenbaren zu müssen. Auch muß die Geschichte einiger in diesem Buch beschriebenen Bands neu betrachtet werden. Nach ausführlichem Studium der Akten des Ministeriums für Staatssicherheit stellte sich heraus, das unter anderem in Bands wie Freygang, Der Expander des Fortschritts, Die Vision, Müllstation, Kein Talent IM der Stasi aktiv waren.
Seit dieses, unser Buch erstmals im Herbst 1999 erschien, sind eine Menge neuer Veröffentlichungen, Bücher, Artikel und Aufsätze über Punk in der DDR dazugekommen. Einige Betroffene haben ihre Geschichte aufgeschrieben. 2001 kam der Film "Wie Feuer und Flame" in die Kinos, der die Geschichte der Ostberliner Punkband Planlos erzählt. Wir sind in all dieser Zeit am Thema geblieben, viele Hintergründe, Zusammenhänge und Details sind neu. Diese versuchen wir in dem vorliegenden Band zu integrieren. So findet man hier einen kurzen Abriß über die Geschichte der DDR-Skinhead-Bewegung, die Aktivitäten von Punks in der Berliner Erlöserkirche und die Wahrnehmung des musikalischen Untergrundes in Fanzines in Ost und West. Dazu gekommen ist eine Übersicht über subkulturelle Musik in Sachsen-Anhalt mit den einstigen Bezirkstätten Magdeburg und Halle. Wir erzählen, wie Punk aufs Dorf kam und wie Kunsterziehung durch Punk passierte. Ebenso versuchen wir in diesem Taschenbuch einen Rückblick auf die anderen Bands. Was ist 15 Jahre später aus ihnen geworden?
Die zu DDR-Zeiten gelebten und ausprobierten Stile, Ästhetiken, Haltungen und Lebensformen veränderten sich mit der Wende drastisch. Die bis dato individuelle Ignoranz gegenüber den herrschenden Verhältnissen wurde eine andere. Viele ehemalige Punks und Aktivisten gehen heute normalen Berufen nach oder machen weiter Musik. Einige der Beteiligten sind tot, andere gehen spirituelle Wege auf der Suche nach sich selbst. Die Biografien haben sich individualisiert. Einige wenige Bands haben überlebt, wie die Madmans und Müllstation, andere haben sich neu gegründet. Am bekanntesten sind heute Tarwater, Knorkator Rammstein. Im August und September 2005 wird die Ausstellung "OstPunk! - Too much future" in Berlin die Geschichte von Punk in der DDR umfassend darstellen. Die konkreten Umstände können immer auch als Synonyme für universelle Zusammenhänge gesehen werden.
Verwende deine Jugend!
Ronald Galenza & Heinz Havemeister, Frühjahr 2005