MITTENDRIN - Phänomene
„Die Tatsache, daß jemand in der DDR Rockmusik gemacht hat, ist keine Erfolgsgarantie.“
Peter Wicke, seines Zeichens Professor für populäre Musik an der Humboldt-Uni, resümiert etwas, was vor Jahren noch belächelt worden wäre. Damals, zu DDR-Zeiten, war Ostmusik oft nicht mehr als eine Tatsache. Westmusik galt als schicker, war erfolgreicher. Heute verlegt das Plattenlabel „Amiga“ Osthits mit sechsstelligen Verkaufszahlen. Ist das nun Ostalgie oder einfach ein Revival, das wie jedes andere immer wieder in Schüben die Hitparaden bestimmt?
Bündnis 90/Die Grünen luden am Donnerstagabend zu einer Diskussion über das „Phänomen Ostrock“ in die Kulturbrauerei.
Ein Musiker saß nicht auf dem Podium. Der Autor Olaf Leitner, Moderator Ronald Galenza und Wicke hatten jedoch genügend Theorien für den Abend. Zum Beispiel über die Rolle der Medien: Super-Illu, der MDR und Amiga böten sich als Nische für Ost-Künstler an, musealisieren aber lieber. Fritz-Redakteur findet: „Die behandeln die DDR als abgeschlossenes Sammelgebiet“. Richtig. Aber bis wann bitte ist Osten? Wenn heute Bands wie die Inchtabokatables oder Rammstein aus den neuen Bundesländern den Ton angeben, spricht man schlicht über deutsche Musik. Die beschäftigt die drei genannten Medien überhaupt nicht.
Osten, so der Anschein, das war wohl früher, als Politik und Rock noch unmittelbar in Zusammenhang standen. Wenn das aber stimmt, dann war es also platt, daß Karat „Über sieben Brücken“ sangen, statt „Satisfaction“ forderten? Verhielten sich dann die Musiker einerseits opportunistisch bei Reisemöglichkeiten, andererseits widerständlerisch gegen Reglementierungen? Die pauschalen Fragen des Abends vermischten kräftig die ehemalige Realität. Denn, wer kann schon den Rolling Stones ständig Subversivität in den Texten unterstellen? Und wie viele Musiker mit Westpaß hatten überhaupt mit Auftrittsverboten zu kämpfen. Warum eigentlich, brachte es ein Zuschauer auf den Punkt, muß immer vom Druck, von Anpassung und Zensur gesprochen werden? Muß Ostmusik am Ende verteidigt, entschuldigt werden? Der Abend machte eines deutlich: DDR-Rock war ein kulturelles Phänomen, weil er unter einem politischem Phänomen entstand. Heute gibt es beides nicht mehr. Das Phänomen der Gegenwart ist die unendliche Diskussion über Ostmusik.
von Abini Zöllner
Berliner Zeitung vom 16./17. November 1996 (Nummer 269)