Silvester im August

Der Sommer ist ja bekanntlich die Zeit für gigantische Festivals. "Silvester im August" nennt sich das große Open Air des Nord Ost Rock e.V. am 15. August 91. Man verspricht musikalische Knallbonbons und gute Laune. Und das auch zurecht, präsentiert dieses Event doch komplett die erste Liga aus den fünf neuen Bundesländern.
Viele Leute wird sicher der charmante Pop von Bobo In White Wooden Houses anlocken, denn die bestrickende Bobo verzaubert mit ihrer ungekünstelten, nonchalanten Naivität jede Arena. Gegenwärtig nimmt sie in London schon ihre zweite LP auf. Andere freuen sich mehr auf den knüppelharten Sound der Skeptiker, mit neuem Pauker übrigens, und Eugen Balanskats furios-theatralische Show. Für Ironiker und Spaßbolde dürfte Iron Henning der illustre Höhepunkt werden. Auch sie mit nagelneuen Songs und unverbrauchtem Gitarristen im Tornister. Auferstanden aus den Trümmern privater Fehden ist Herbst In Peking und wird den Sommer mit frischen Winden kühlen. Wenn dann die Sonne ihre Schicht beendet, werden die vielgepriesene Die Art das verbleibende, fahle Licht erhellen. Den absoluten Hauptspaß gibt es aber erst, wenn die abgedreht-chaotischen Feeling B die Bühne stürmen werden. Mal sehen, ob Aljoscha die Massen wieder an seinen turbulenten Tequila-Torturen teilhaben läßt. Es fehlen aus unterschiedlichen Gründen eigentlich nur Die Vision und Sandow.

silvester.jpgMit diesem oppulenten Festival will der Nord Ost Rock e.V. auf seine vielfältigen Aktivitäten aufmerksam machen. Die erstrecken sich, im Gegensatz zum "Berliner Bandsyndikat" oder der "Musikszene e.V.", die sich um die Berliner Rockszene kümmern, in alle fünf neuen Bundesländer. Denn dort liegt noch vieles Entdeckungswürdiges im Neuland.
Gespannt darf man auch auf die noch nicht so bekannten Bands sein. Besonders empfehlenswert dabei de Feixen mit ihrem knochentrockenen, bösen Rock. No Name haben sich bereits live einen guten Namen erspielt und Need A New Drug aus Dresden geben angesägten, verrauschten Noise-Beat. Knackigen Hardcore brettern D.O.D., die einstigen legendären Tishvasings aus Leipzig, ins umliegende Gehölz. Guten, alten Punk bringt die Ich-Funktion vom Prenzlauer Berg mit nach Köpenick. Und wem es zu hitzig werden sollte, dem legen die Dresdner Cosmic Connection Cowboys Eis-Nebel ums Herz. Hier wurde also ganz bewußt auf innovative Breite Wert gelegt. Man darf sich also auf eine knallig-bunte Silvesternacht mitten im August freuen. Die Konfetti nicht vergessen!

Ronald Galenza Stadtmagazin TIP, 2.8.1991