Libus - Musik & Literaturzeitung, Stuttgart, 2003
Interview mit Ronald Galenza
Ronald Galenza veröffentlichte mit Heinz Havemeister die Feeling-B-History "Mix mir einen Drink". Die Autoren zeichnen durch zahlreiche Gespräche die außergewöhnliche Geschichte der DDR-Punk-Band nach. 1983 gründete der Physiker Aljoscha Rompe zusammen mit Paul Landers und Flake Lorenz die irrwitzige Combo, die sich mehr als Spaßguerilla denn als Band verstand. Zehn Jahre später brach Feeling B auseinander. Landers und Lorenz ernteten mit Rammstein Weltruhm, während Rompes Abstieg begann. Der Sänger verstarb im November 2000. Ronald klein traf Ronald Galenza in Potsdam.
Frage: Im Vorwort schreibst Du, dass der Anlass für das Buch Aljoschas Tod war. Wäre denn die Geschichte Feeling B's sonst nicht so erzählenswert oder zumindest nicht in diesem Umfang?
Galenza: Das Buch wäre sonst nicht geschrieben worden. Der Tod von Aljoscha war entscheidend. Am Abend des Gedenkkonzerts begann das Nachdenken darüber, diesem "verrückten" Kerl ein Denkmal zu setzen. Heinz Havemeister und ich trafen uns dann mit Paul und Flake - den beiden andren von Feeling B - in einer kleinen Kneipe. Sie waren erst sehr skeptisch, was das Vorhaben betraf: ob jemand diese Geschichte überhaupt lesen will. Das war auch für uns der Punkt, denn es handelt sich um ein Stück zurückliegende Ost-Geschichte. Mit dem heutigen Wissen würde ich sagen, daß es sehr, sehr schade gewesen, wenn das Buch nicht zustande gekommen wäre.
Frage: Wenn Flake und Paul bisher auf Feeling B angesprochen wurden, hielten sie sich bedeckt.
Galenza: Das war tatsächlich ein bißchen schwierig. Sie mußten sich darauf einlassen, über ein wichtiges Stück ihrer Jugend noch einmal nachzudenken und das auch zu reflektieren. Natürlich gab es völlig verschiedene Vorstellungen darüber, wie das Buch aussieht. Wir wollten erst einen reinen Interviewband herausgeben, in dem wenige Beteiligte zu Wort kommen und die Gespräche nebeneinander stehen. Jetzt haben wir die Aussagen ja montiert. Flake hätte am liebsten einen Roman gehabt, was wir ihm aber schnell ausgeredet haben. Denn das hätten wir nicht leisten können. Wir haben schließlich nicht deren Leben gelebt. Flake hatte schon vor vielen Jahren die Idee, die Feeling-B-Geschichte aufzuschreiben, es aber nie umgesetzt. Letztendlich sind beide froh, daß es das Buch gibt und es so ist, wie es ist.
Frage: Die über 400 Seiten bestehen fast komplett aus O-Tönen. Ich hatte nach dem Lesen den Eindruck: vollständiger geht es nicht! Wie lange hat die Recherche gedauert?
Galenza: Das war in der Tat unser Ansatz! Wir wollen nur gute Bücher machen und keinen Schnellschuß. Insgesamt haben wir 1 ½ Jahre gebraucht. Die Hälfte davon, die knapp 30 Leute zu finden und zu interviewen. Und die mußten uns dann auch erst ein bißchen kennen lernen, um sich auf uns einlassen zu können. Dann begann die Textarbeit, um die ich mich gekümmert habe, während mein Kollege Heinz Havemeister für die Fotos zuständig war. Mit Paul und Flake kam es dann zur Montageidee und das war dann wie ein Rausch! Das hat wirklich Spaß gemacht. Wir hatten einfach Glück mit den beiden. Manchmal arbeitet man mit Leuten, die langweilig oder anstrengend sind. Aber die beiden hatten immer Zeit. Wir haben stundenlang zusammen gesessen, an vielen verschiedenen Abenden. Die Jungs können wunderbar - jeder auf seine Art - spannend erzählen! Das war ein Glücksumstand.
Frage: Du bist selbst auch nicht völlig szenefremd. Deckt sich vieles mit Deinen Erinnerungen von damals? Wie bist Du auf Feeling B gestoßen?
Galenza: Ich geisterte so Anfang der 80er durch die Szene. Irgendwann hatte ich mir die Haare abgeschnitten und war dann so ein kleiner Punk. (lacht) ich spielte zu der Zeit auch in einer Band?
Frage: Welcher?
Galenza: Jähzorn. Das war in Ost-Berlin alles sehr überschaubar. Es gab nur wenige Punks und man kannte sich. In der Straßenbahn hat man sich angesprochen, um zu fragen, wo was los ist und ging dann gemeinsam auf Partys. Die Fehrbelliner Straße 7 - das Feeling-B-Headquarter - war schon nach kurzer Zeit ein umtriebiger Ort. Da hingen auch die Musiker von Hard Pop und Freygang ab. Feeling B erlebte ich das erste Mal 1983 kurz nach ihrer Gründung im Krausnick-Club in Berlin-Mitte. Das war nicht schwer in dieser lustigen Ost-Berliner Szene die Leute kennenzulernen.
Frage: Aber die ersten Ost-Berliner-Punks, die um 1980 15 Jahre alt waren, bildeten doch eine ganz andere Szene. Gab es denn Berührungspunkte zwischen den jungen Punks und Euch?
Galenza: Das war tatsächlich eine völlig andere Szene! Man kannte sich und ging auch gemeinsam zu den Konzerten in die Erlöser-Kirche, um die Underground-Bands zu erleben. An manchen Abenden ist man erst zu "die anderen" im Club "Weißenseer Spitze" gegangen und danach in die Erlöserkirche oder eben anders herum. Für die unangepaßten, renitenten Punks war Feeling B schon zu konform. Feeling B hatte eine Einstufung gemacht, um offiziell auftreten zu können. Da gab es von vielen Underground-Punk Verachtung. Vielleicht war es aber auch Neid.
Frage: Warst Du denn Grenzgänger zwischen diesen Szenen? Beschreib doch mal Deinen beruflichen und musikalischen Werdegang!
Galenza: Ich hab als Reinigungskraft im Französischen Dom gearbeitet. Davor war ich Obstpresser und Briefbote. Weil ich damals nicht mehr zu den jungen Punks gehörte, war ich auch Fan von den eher gestandeneren Bands: Feeling B, Die Firma, Ich-Funktion, die anderen. Wir haben die jungen und frechen Punks besucht und mit denen gequatscht - auf Partys traf man sich sowieso. Aber ich tendierte schon eher in die andere Szene.
Frage: Diese "anderen bands", die in der DDR sehr wichtig waren als Ausdruck eines "anderen" Lebensgefühls, sind nach der Wende mehr oder weniger schnell verschwunden. Was glaubst Du, woran das liegt?
Galenza: Das ist ein Klischee, das gerne transportiert wird. Die sind nicht schnell verschwunden! Die Art, Sandow und Skeptiker haben noch lange Platten aufgenommen. Aber die Reaktion des Publikums war nach 1989 nachvollziehbar. Die Mauer war offen und die Welt damit größer. Plötzlich wollten die Leute die "Originale" sehen. Die kleinen DDR-Bands hatte man schon zwei oder fünf mal gesehen. Es war einfach ein Hunger da, die "richtigen" West-Bands zu sehen. Man hat dann aber schnell mitgekriegt, daß die auch nur mit Wasser kochen. Aber sie hatten klangvollere- und sehnsuchtsvollere Namen!
Frage: Aber gerade die drei Bands, die Du genannt hast, waren zu DDR-Zeiten unheimlich populär. Nach der Wende kam der Einbruch - auch was die Verkaufszahlen der Tonträger anging. Und die Fans sind eben nicht zurückgekommen! Ich denke, dass die "anderen bands" durchaus etwas sehr eigenes waren und nicht nur einen Ersatz oder eine Kopie der "richtigen Bands" aus den Westen darstellten.
Galenza: Stimmt. Kopie wäre mir auch zu drastisch formuliert. Aber jede Band hatte gewisse Einflüsse. Man konnte alle Bands, außer Feeling B an bestimmten musikalischen Vorbildern, festmachen. Natürlich lebt niemand ohne Einflüsse, denn selbst ein Picasso lebte nicht im Vakuum. Und auch die DDR war kein Vakuum. Es war bloß ein Deckel auf diesem komischen Topf drauf und köchelte so vor sich hin. Die Renitenz und Texte der Bands entstanden selbstverständlich aus den Bedingungen, die in der DDR herrschten. Es machte keinen Sinn, über die Schlagersüßtafeln zu schreiben. Man hat sich statt dessen am Staat abgearbeitet. Das wurde aber für viele Bands ein Verhängnis nach der Wende, weil der sogenannte Feind wegbrach und damit die Reibefläche weg war. Als lustige Fun-Punk-Band wollten die meisten - so auch Feeling B- nicht mehr rumgurken. Man musste tatsächlich im Innern kramen, um zu gucken, was noch in einem ist, was künstlerisch bedeutsam und aussagefähig ist. Und das stellte leider für viele Bands ein Problem dar.
Frage: Welche Bands waren denn in Deinen Augen wirklich herausragend?
Galenza: Feeling B natürlich auf Grund ihrer Eigenständigkeit. Ornament & Verbrechen ebenfalls. Eine Band, die immer vergessen wird, war B.R.O.N.X., weil die bereits Mitte der 80er Jahre versuchten, HipHop mit hartem Rock oder Metal zu verbinden. Aufruhr zur Liebe und Der Demokratische Konsum sind ebenfalls nicht vergleichbar. Alle anderen Bands kann man auf ihre Einflüsse zurückführen.
Frage: Nach der Wende kam auch heraus, dass einige Musiker als Informelle Mitarbeiter der Staatssicherheit gewirkt haben - bestes Beispiel: Die Firma, wo mit Trötsch und Tatajana Besson gleich zwei IM zugange waren. Spinnt man den Gedanken weiter, dass die Stasi nicht nur über den Underground Bescheid wußte, sondern vielleicht sogar Einfluß nehmen konnte oder ist das zu weit gedacht? Das heißt, daß der "Widerstand" nur noch einen "Arbeitswiderstand" (nach Pankonin) darstellte. Etwas, das das System - genau wie in der Elektronik benötigt, um Wirken zu können?
Galenza: Das ist ein schwieriges Feld. Da bräuchten wir tatsächlich länger. Leider war es bei den Musikern, genau wie bei den Literaten, siehe: die Prenzlauer Berg-Szene, daß die IMs direkt in der Szene saßen. Wir dachten zu der Zeit noch, die Stasi würde nur von außen beobachten, mitschneiden und mitschreiben. Wir gingen davon aus, dass wir die Agenten erkennen könnten. Dass die Künstler selbst IMs waren ahnte niemand! Was dann nach 1989 herauskam war sehr ärgerlich! Es gab viele Verletzungen, die bis heute anhalten! Sehr schockierend, was passiert ist. Dass aber diese Leute derartig gesteuert wurden, um Einfluß zu nehmen, glaube ich nicht. Es gibt ein Beispiel von Tatjana Besson, die bei einem Konzert im Vorwendeherbst ein T-Shirt vom "Neuen Forum" trug - immerhin vor 6000 Leuten. Das war mit der Stasi abgesprochen. Das war Scheiße, wie leider so vieles Scheiße war. Aber so weit zu gehen, dass die Stasi die Szene steuern konnte, würde ich nicht gehen.
Frage: Auch Aljoscha unterstellten böse Zungen, er könnte für die Stasi gespitzelt haben, was nachweislich nie der Fall war. Aber er hat ohne Frage, viele Menschen vor den Kopf gestoßen. Diese kritischen Stimmen habe ich im Buch etwas vermisst. Lag das an der Vorauswahl der Gesprächspartner oder heilt die Zeit alle Wunden?
Galenza: Im Buch findet man den bezeichnenden Satz von Sascha Goldmann: "Wäre Aljoscha 1995 gestorben, hätte sich kein Schwein für ihn interessiert." Das lag daran, dass er sehr viele Feinde hatte, weil er in der Tat sehr viel Scheiße gebaut hatte und damit Leute verärgert und verprellt hat. Die kritischen Stimmen fehlen nicht wegen einer Vorauswahl, sondern aus einem anderen Grund. Wir wollten mit unseren Interview-Partnern ehrlich umgehen und haben jedem das betreffende Manuskript vorgelegt. Einige haben ihre Texte nachgebessert und da sind bestimmte Aspekte verschwunden, die im Interview direkter waren.
Frage: Etwas sehr Entscheidendes im Buch ist, das Aufzeichnen der ostdeutschen kulturellen Identität, die gerade Paul und Flake an verschiedenen Stellen explizit betonen. Die Rammstein-Jungs kommen komplett aus der ehemaligen DDR, haben aber in Gesamtdeutschland und schließlich auch international Erfolg. Betrachtest Du Rammstein als "ostdeutsche" Band?
Galenza: Ja, absolut. Ihre Sozialisation hat im Osten stattgefunden. Darauf bestehen übrigens auch die anderen vier! Was eine Band, die weltweit Erfolg hat, braucht, ist der innere Zusammenhalt. Man kann sich sonst sehr schnell über bestimmte Dinge streiten und auseinanderfallen. Ich will es bei Rammstein nicht unbedingt Freundschaft nennen, aber der gewachsene Zusammenhalt ist sehr wichtig.
Frage: Bekommt Ihr Feedback, wie sich "Wir wollen immer artig sein", Euer erstes Buch über den DDR-Punk verkauft?
Galenza: Nein, so nicht. Wir kriegen einmal im Jahr vom Verlag die Verkaufszahlen. Aber interessant sind die Mails und Leserbriefe. Zum Beispiel von einem Professor aus Köln, der dort DDR-Geschichte lehrt und sich bei uns tausend mal bedankt hat, weil er Einsicht bekam, über eine Szene, die er so natürlich nicht kannte.
Frage: Man kann darüber streiten, ob es 13 Jahre nach Mauerfall ein Phänomen darstellt, dass die beiden deutschen kulturellen Identitäten weiterhin aufeinanderprallen. Auch im Underground ist der lokale Bezug von entscheidender Bedeutung. Aber Rammstein haben es geschafft, vielleicht auch dank entsprechender Promotion, in beiden Teilen Deutschlands und dann eben auch international Fans zu gewinnen.
Galenza: Jeder Mensch besitzt eine Biographie. Das ist klar. Und jeder hat eine gelebte Geschichte. Die muß nicht einmal spektakulär sein. Wir haben für dieses Buch Leute getroffen, die wir nicht kannten. Aber sie haben sich geöffnet und haben aus ihrem Leben erzählt. Das war manchmal herzergreifend, manchmal hoch interessant, selten langweilig. Beim Signieren, schreibe ich oft den Spruch ins Buch: "Vertraue niemanden, außer den Menschen!". Man muß zuhören können. Dabei kann man dann auch seine eigene Geschichte einbringen. Diesen Austausch halte ich für sehr wichtig.
Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit dem Buch!