Da sind wir aber immer noch!
So krächzt stolz und wund der einstige DDR-Rock und erhebt sein gebeuteltes Haupt. Oft totgesagt, verlacht und verhöhnt, wagt er sich jetzt wieder aus seiner Kammer, die einst ein Palast war. Jüngere ostdeutsche Band wie Die Vision, Keimzeit, die Skeptiker oder Die Art füllen heute wieder oder immer noch jeden Saal. Der Nachlaßverwalter des einstigen Staatsmonopolisten Amiga, die Deutsche Schallplatten GmbH, macht sich nun daran, auf alten Platten Staub zu wischen. Das fällt auch nicht weiter schwer, lagern doch im riesigen Archiv meterweise Absurdes, Eigenwilliges und Wertvolles sozialistischer Kulturpolitik, nämlich über 90.000 Aufnahmen! So macht man sich derzeit am Berliner Reichstagsufer daran, eine reichhaltige musikalische Luftfracht zu sichten und zusammen zu stellen. Unter dem Slogan "Rock aus Deutschland. Ost" werden diverse Platten einstiger Rockgrößen der verschwundenen Republik wieder veröffentlicht.
Den Auftakt bildete bereits der Sampler "Weltall. Erde. Mensch.", der Hits und Vergessenes neu erklingen läßt. Es folgen frühe, längst verschollene Scheiben von Team 4, Renft, Lift, Kerth und Reinhard Lakomy. Dabei fällt auf, daß man erst mal tunlichst die Finger von den wahren Volkskunst-Kollektiven der ausgezeichneten Qualität gelassen hat; schämt man sich etwa der Puhdys? Die Plattenbosse setzen lieber auf akzeptierte Bands wie Pankow, Engerling oder City.
1992 beschenkt "Gala", das neue Label auf dem die Wiedererweckten nun erstmals auf CD erscheinen, die Nachgeborenen oder Zurückgebliebenen jeden Monat mit einer neuen, verblichenen Blüte aus dem Erinnerungshotel: Rockhaus, Karat, Veronika Fischer oder Stern Meißen. Für viele sicher besonders interessant, die soeben erschienenen Jugendstreiche von Nina Hagen aus ihrer Jugendzeit im lustigen Osten. Mit Olaf Leitner, der die begleitenden Texte verfaßt hat, fand man auch einen kundigen Außenstehenden.
Positiv zweifelsohne, daß lange vergriffene Musik so wieder zugänglich wird. Ob dies nun aber tatsächlich Vergangenheitsbewältigung, Abzockerei, Wiedergutmachung oder Verhohnepiepelung ist, muß jeder für sich selbst entscheiden. Die Puhdys wüßten längst: "... vorn ist das Licht!"
R. Galenza tip - Berliner Stadtmagazin 47/1991