Der Vertrieb vertreibt nicht. Der Käufer kauft nicht. Der Verleger verlegt nicht. - Zeitungsterben im Osten
So beginnt die letzte Mitteilung der NMI - Neue Musik Information, einer ostdeutschen Europa-Rockzeitung, von Chefredakteur Jürgen Balitzki an ihre Leser. Nach knapp einem Jahr und 19 Ausgaben muß die NMI ihr Erscheinen einstellen und teilt damit das Schicksal einiger anderer hoffnungsvoll gestarteten ostdeutscher Zeitungs-Projekte. Die NMI erschien im ehemals renommierten Kunsthaus Henschel-Verlag. In seinem Buch-Verlag editierte er neben Opern- und Operettenwerken auch Film-Bücher, Kunstlexika und Bühnenstücke. Unter anderem auch solcher angesehenen Autoren wie Heiner Müller oder Christoph Hein. Aus dem angeschlossenen Zeitschriften-Verlag kamen niveauvolle Blätter wie der "Filmspiegel", "Film & Fernsehen", "Theater der Zeit", die "Bildende Kunst" und Musikzeitungen wie "Melodie & Rhythmus" und eben die NMI.
War die Verlagsleitung nach der Währungsumstellung noch einigermaßen optimistisch, setzten bald zahlreiche Schwierigkeiten ein. Nicht nur, daß es durch das Managment zu Fehleinschätzungen der eigenen Marktchancen kam, da im Herzstück des Hauses, dem Buch-Verlag, kaum attraktive Titel erschienen, auch der überlebenswichtige Vertrieb versagte. Die Deutsche Post der Ex-DDR ließ den Vertrieb regional schon seit November letzten Jahres in einzelnen Gebieten auslaufen und stellte ihm ab Mitte März völlig ein. Die NMI war also trotz des Bedarfs bei ihren Lesern in den neuen Ländern nur noch schwer zu bekommen. Letztlich sank so die Auflage von einst 30.000 auf knapp 8.000 Hefte.
Ähnlich erging es auch allen anderen Zeitschriften des Henschel-Verlages. Selbst die "Melodie & Rhythmus", die bereits bundesweit verkauft wurde, konnte durch ihre unausgegorene Konzeption, kein Wunder bei einem Spektrum von den Rolling Stones bis Heino, gegen die etablierten West-Blätter nicht konkurrieren und ging ein. Die Geschäftsführung um Verlagschef Kuno Mittelstädt hatte es auch versäumt, sich frühzeitig um neue, effektivere Vertriebe und Grossisten zu kümmern.
Fast zeitgleich ging auch das andere neue Rockblatt aus Ostdeutschland in die Knie. Die "Messitsch" erschien im alternativen, neugegründeten Opposum-Verlag, den Verlagsleiter Jürgen Winkler mit viel Eigeninitiative und Privatkapital aufgebaut hatte. Die "Messitsch" erreichte durch ihre witzig-frische, ironische und subjektiv-kritische Haltung schnell eine Auflage von 15.000 Heften östlich der Elbe. Aber mit dem Ende des Vertriebs durch die Deutsche Post steht auch die "Messitsch" vor dem finanziellen Aus. So entschlossen sich beide Redaktionen schnell, nun zusammen zu gehen, um überhaupt weiter machen zu können.
Das erfordert zwar einiges an Kompromißfähigkeit, aber man nimmt sich auch nicht mehr die Leser weg und kann effizienter Werbung ins Heft holen. Hauptproblem bleibt allerdings die Finanzierung des Blattes. Jürgen Balitzki und Jürgen Winkler gehen dabei von einer Anschubfinanzierung von ungefähr 45.000 DM aus. Gerade gegründet wurde deshalb der Nord-Ost-Rock e.V. Der soll die neue Zeitung nun herausgeben, Label-Förderung leisten, Konzert und Rockwettbewerbe organisieren. Geplant ist auch, die öffentliche Hand, gedacht ist da an den Berliner Senat und den Kulturfond des Bundes-Innenministeriums, um finanzielle Hilfe zu bitten. Vielleicht finden sich ja auch private Sponsoren. Desweiteren will man ein Spendenkonto einrichten, da viele Leser in Kondolenzschreiben ihre Unterstützung zugesagt haben. Auch die Musikszene zeigt sich sehr solidarisch, so werden Benefiz-Konzerte für die angeschlagenen Zeitungen organisiert. Weiß man doch, daß sie die einzigen Anwälte und Kommunikationsmittel der lebendigen Ost-Szene sind. Viele Fotographen und Autoren boten spontan an, auf ihre Honorare zu verzichten. Die Blattmacher hoffen, die neue NMI-Messitsch schon ab Mai wieder herausgeben zu können. Dafür brauche sie allerdings die Hilfe und Solidarität vieler.
R. Galenza tip - Berliner Stadtmagzin, Heft &/1991