Weltall Erde Mensch - Deutscher Demokratischer Beat

weltall.jpgEs war einmal ein kleines Land, in dem alte Männer mit spitzen Bärten und komischen Brillen, den jungen Leuten sagen durften, was sie mögen sollen. Als einer von ihnen sich schlafen legte, im 73er Jahr, ging es richtig los. Unter der dicken Käseglocke, die die alten Männer gebaut hatten, braute sich ein Sud zusammen, der leicht in geregelte Bahnen zu lenken war. Man engagierte sich und wurde engagiert.
Von den oberen Geschmackskomissaren anfangs argwöhnisch beäugt, verfolgt, in manch halsstarriger Provinz gar verboten, war DDR-Rockmusik in den ersten Jahren Abklatsch und Nachempfinden der anglo-amerikanischen Vorbilder, die via Äther ins Land filtriert wurden. Vom reinen Nachspielen gingen einige Bands bald zum Schreiben eigener Songs über, denen man das Woher immernoch anhörte. Damals, so um 1972, galten Combos wie die PUHDYS, BAYON und RENFT als innovativ. Mit Abstand betrachtet, ist die Musik jener Zeit mehr als nur interessant. Sie gehörte zum Leben, wie der Ärger mit dem Jeansverbot in Jugendklubs, wie die guten Sounds vom RIAS-Treffpunkt oder das erste Tonbandgerät vom Typ ZK 120. Ostdeutsche Rockmusik wurde fortan staatlich subventioniert und gefördert, Hitparaden im Radio installiert, die Rocker erschienen zurecht gemacht und frisch frisiert im Fernsehen. PUHDYS, KARAT oder WIR waren bald Bands für die ganze Familie und Inkarnationen des „Ost-Rocks“.

Ein Pionier der DDR-Szene war Ende der sechziger Jahre Thomas Natschinski mit seiner Band TEAM 4. Der integere Beat dieser Musiker wurde sehr bald durch FDJ-Obere vereinnahmt. Die flotte Version von „Sag mir wo du stehst“ steht hier als Beispiel. Aber das Angebot war weit vielfältiger. Es gab Hits wie den „Tanten“-Song von SCIROCCO mit seiner schüchternen Moralkritik oder das Lied vom impulsiven Jugendlichen, der lieber „Duosan-Rapid“ vors Maul geschmiert bekommen sollte, als seine Meinung sagen zu können – „Sei kein Vulkan“ von der BÜRKHOLZ Formation. Interpreten wie Nina HAGEN und Bands wie RENFT hatten schon zu ihren DDR-Zeiten Kultstatus, weil sie sich durch Eigenwilligkeiten vor anderen auszeichneten. Und später im Biermann-Sog aus dem Land getrieben wurden.

Die PUHDYS behielten über zwei Jahrzehnte ihren zentralen Platz im Pool der Gruppen und pendelten in ihrem Frühwerk zwischen „Steige nicht auf einen Baum“ und „Jodelkuh Lotte“ die Grenzen des scheinbar Machbaren aus. Mit dem Song „Geh zu ihr“, ihrer ersten Single aus dem Film „Die Legende von Paul und Paula“, hatten sie durchaus einen lichten, hörbaren Augenblick. Schon zur zweiten Bandgeneration kann man KARAT und Veronika FISCHER & Band zählen, die aus PHANTA Rhei hervorgegangen und dem inzwischen typischen, liedhaften DDR-Rock verpflichtet waren. Etwas näher am realen leben ihrer Fans war CITY in ihren frühen Songs: Die Idee vom freien Leben auf Motorrädern, in den engen Straßen der Städte, die auf den Höfen vom Prenzlauer Berg und anderswo geträumt wurden, verpackten Krahl, Gogow, Puppel und Selmke ihre Rocksongs. „Nach Süden“ von LIFT war immer mehr als ein profaner Popsong; einerseits durch die Mehrdeutigkeit des Textes, andererseits durch die Intensität des Sängers Henry Pacholski. Derweil strebte die Gruppe BERLUC nach Höherem und schuf mit ihrem Hit „Hallo Erde, hier ist Alpha“ die Multispektralkamera des DDR-Rock, ganz im Geiste von Siegmund Jähn.

Die erste „Punk“-Platte aus dem Hause Amiga war ohne Frage die ironische LP von KEKS, die erst gut acht Jahre später durch junge Bands wie FEELING B übertroffen wurde. Dagegen war die GAUKLER ROCK BAND, die erste Kapelle des späteteren PANKOW-Sängers André Herzberg, noch eher verhaltener NDW-Verschnitt, was seinerzeit bei einigen Kulturhütern argwöhnisch registriert wurde.
Die Auswahl auf dieser Veröffentlichung erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sie ist vielleicht ein Anfang und sie ist subjektiv. Wir mußten uns auf dieses Format beschränken, ein Fundus wichtiger Namen mußte unberücksichtigt bleiben. „Deutsche Schallplatten“ wird diverse Gruppen der Vergangenheit wieder neu auflegen und einiges vom verblichenen Material wieder zugänglich machen. Dies hier ist ein Angebot.

Ronald Galenza und Lutz Schramm, Oktober 1991

P.S.: „Weltall Erde Mensch“ ist ein dickes Propaganda-Buch, das den Teenagern der DDR über viele Jahre hinweg zur sozialistischen Jugendweihe geschenkt wurde. Damit sollten sich die angehenden Erwachsenen über die Welt aus der Sicht des Sozialismus DDR’scher Einfärbung orientieren.

(Text für das CD-Booklet zur gleichnamigen CD „Weltall Erde Mensch“ – Amiga)