Interview zur Bolschewistischen Kurkapelle Schwarz-Rot mit Frank Keding
Sommer 2008, von Ronald Galenza
Wie und warum wurde die BKK 1986 gegründet?
Der Legende nach haben Rolf (Cello) Fischer, Stefan Körbel und Dieter Beckert (Duo Sonnenschirm) bei einer Tour 1986 von „Karls-Enkel“ (Berliner Liedtheater) das „Sogenannte Linksradikale Blasorchester“ im (Robur-)Bus gehört und beschlossen ein ähnliches Blasorchester zu gründen. Mann/Frau waren damals sehr experimentierfreudig, die meisten konnten kein Blasinstrument spielen.
Weitere Leute wurden schnell gesucht und gefunden. Im August 86 war im Probenraum von „Karls-Enkel“ in der Marienburger Straße im Prenzlauer Berg die erste Probe mit etwa zehn Leuten – Ulrich Magister spielte ein trashiges Pseudo--Schlagzeug ansonsten alles Bläser/innen. Der erste Auftritt folgte im November 1986 im Klub auf der Insel der Jugend in Berlin. Sehr wüst.
Über welche Struktur verfügt die Band heute, welche Berufe haben die Kollegen so derzeit?
Rockblasband – Schlagzeug, Bass, 2 Gitarren und 20 Bläser und Sänger. 3 Frauen, davon eine schwanger. Gegenwärtig die 4. Generation von Mitgliedern, ganz bunt gemischt: 20-jährige Begeisterte, 30-jährige in den berühmten 80ern sozialisiert (die sogenannte bundesdeutsche Teilzeit-Generation) und 40er, die sogenannte beherzte Wissens-Generation. Vor allem akademische Berufe im sozialen Milieu, der Rest Studienabbrecher. Keine professionellen Musiker, aber alle musikalische Ausbildung.
Euer musikalischer Ansatz im Wandel der Zeiten?
Urkonzept war das proletarische Lied jenseits der DDR-Propaganda wieder hörbar zu machen (Blasnost). Außerdem sollte Blasmusik, weg von der Volksmusik, bei aufgeklärten Menschen wieder beliebt werden. Heute reden wir von Programmmusik, die reicht von sozialer Musik des Westens: Hendrix, Cobain über das proletarische Kunstlied von Brecht und Eisler bis hin zu Ton Steine Scherben – ein wichtiger Schwerpunkt. Die osteuropäische und Balkanmusik ist in den letzten Jahren, dem Trend entsprechend, dazu gekommen. Immer noch wie früher: ein bunter Flickenteppich, nicht festgelegt also, aber mittlerweile sehr tanzbar (Tanz deine Revolution – Rainer von Vielen).
Wie und von wem erfolgt die Titelauswahl?
Durch die Arrangeure und Komponisten aus der Band. Alles was für die Kurkapelle geschrieben, einen „Programmanspruch“ hat und für die Kurkapelle gut klingt, wird gespielt. Wer eine Idee hat, schreibt sie auf, wer nicht, wird nicht gehört. Die Band stimmt mit den Füßen ab, nicht mit den Händen, das heißt, die Titel werden einfach nicht gespielt, die blöd sind.
Man konnte in der DDR von FDJ-Kirmes bis Umweltbibliothek überall spielen?
Die Kurkapelle hat überall gespielt. Sie hatte sogar am Ende der Täterätä ein „staatliche Einstufung in der Grundstufe“ vom Berliner Haus für Kulturarbeit, damit durfte sie offiziell Honorar nehmen. Es gab Liebhaber der Kurkapelle in der Berliner FDJ und in der Oppositionsszene, die kannten sich gegenseitig nicht wirklich. Das Blasorchester wirkte wie ein Fliegenfänger. Überwiegend wurde jedoch gerne in Szeneklubs und im Theaterumfeld gespielt. Das schärfste war eine Kirchweihe in Dresden, da haben wir heilige Musik geblasen: „Ein feste Burg ist unser Gott.“ Drei anwesende Bischöfe hatten säuerliche Gesichter. Konzerte im Bauhaus Dessau waren dagegen immer cool.
Welche Zusammenarbeit oder Konzerte mit anderen Künstlern gab es?
Feeling B war der erste Meilenstein. Los ging es mit dem Film „flüstern und SCHREIEN“, da haben einzelne Bläser bei der Produktion von Feeling-B-Musik mitgemacht. Dann erschien etwas auf dem Kleeblatt-Sampler von Amiga: „Die anderen Bands“. Es folgten die ersten beiden Longplayer von Feeling-B. Live-Begleitung bei Feeling-B-Konzerten machten 3 Bläser – oft sehr spontan organisiert, wie es Aljoscha liebte. In den 90ern waren es vor allem Theaterleute – Tanztheatermann Kresnik, Alfred Hrdlicka und Christoph Schlingensief – letzterer mit aberwitzigen Shows für die Volksbühne. Gesungen haben hin und wieder einzelne Berliner Prominente wie z.B. Sophie Rois. Das mecklenburgisch-berlinerische, schriftstellerische Urgestein Peter Wawerzinek pflegt seit langem eine Künstlerfreundschaft zur Kurkapelle. Mit dem Kammertheater Neubrandenburg wurden in den 90ern einige Projekte, u.a. einen Film (Gulliver bei den Riesen) gestemmt. Modeselektor hat für die CD Tänze einen Titel als ihr erstes Auftragswerk geremixed. Es war der Kurkapellenklassiker „Kasakka“. Inzwischen ist Yuriy Gurzhy (Russendisko und Bandleader von RotFront) ein Freund und Gast der Kurkapelle. Die Geschichte läßt sich fortsetzen .
Wie kam Zusammenarbeit mit Feeling B zustande?
Irgendwann standen Paul und Aljoscha im Probenraum - zwei Punks vor den Bärtigen der Kurkapelle. Sie haben ihr Konzept erläutert, es gab Tapes. Dann haben wir uns die Stimmen dazu geschrieben. Ein erstes gemeinsames Konzert im Ostberliner Filmtheater „Babylon“ war das Eingangstor der Zusammenarbeit Ende der 80er. Auch für die Platten hatten wir uns intensiv vorbereitet und kleine Arrangements geschrieben. Die Produktionen waren immer chaotisch. Feeling B war bei den Aufnahmen recht schnell mit uns zufrieden, nichts durfte wirklich sauber klingen.
Wer hat wie und warum an der Produktion von "Keilter Schwaß" mit Bert Papenfuß mitgearbeitet? Einer Verfremdung und Adaption der DDR-Hymne?
Das Thema ist eine wirkliche Legende, mir ist nicht bekannt, dass die Kurkapelle da irgend etwas beisteuerte. Was da auf der CD ist, ist wohl nicht die Kurkapelle. Sorry, wirklich keine Ahnung oder Erinnerung.
Welche unterschiedlichen Publikums-Reaktionen hat die BKK erlebt?
Highlights waren natürlich große Open-Air-Festivals wie das Gaffenberg-Festival - bereits 95 in Heilbronn - oder das Weltmusikfestival (TFF) 2003 in Rudolstadt. Da waren so um die 3000 Leute vor der Bühne, das hat gekracht. Ein besonderer Bringer war der Radio-Livemitschnitt im Berliner Radialsystem 2007 - die Sendung „MACHTMUSIK“ von MDR und BR4. Hier wurde extrem ernst über politische Musik als rückwärtsgewandte Musik durch Experten diskutiert. Da hat es richtig Spaß gemacht, einen musikalischen Sturm der Begeisterung vor dem Studiopublikum zu entfachen. Jüngster Erfolg war die Teilnahme an einem politischen Liedfestival nahe Salzburg im Sommer 2008. Wir haben die alternative Szene vor Ort mit unserer Moderation gespalten und die Österreicher das erste Mal richtig durchgerockt. Auslandskonzerte gab es bis dato nur in Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz (Anfang der 90er).
Mist – und ein absoluter Tiefpunkt - war die Grundsteinlegung der Bundeszentrale der SPD in Berlin 1993, hier wurden wir von der innerparteilichen Opposition reingeschummelt und Herr Scharping und die restliche Führungsriege haben uns sehr geflissentlich überhört. Kuttner hat vergeblich versucht, die politische Weltlage zu moderieren (er war damals der Band-Moderator). Seitdem wurden wir sehr vorsichtig, was das Buchen für politische Veranstaltungen anbelangt. Die unrühmlichste Platten-Produktion war der Longplayer vom „Gelben Wahnfried“ Anfang der 90er. Hier klang das Orchester beim letzten Titel der Platte einfach schlichtweg traurig. Ein absoluter Tiefpunkt war auch die Mitwirkung beim Nirvana-Tribute im Kesselhaus 2007. Vor jungen Leuten unter 18 wirkten wir wie eine Gesandtschaft aus der Gruft und spielten „Kashmir“ von Led Zeppelin zaghaft wie ein Haufen sexverachtender Ehren-Jungfrauen. Wir haben natürlich ein paar Pseudojungfrauen in der Band, die sagen: „Ich mag kein Sex“ oder nicht über Sex reden wollen und die es aber in Wirklichkeit wie verrückt treiben oder ständig geil sind. Generell waren die Band und das Publikum aber immer fröhlich und aufgeschlossen.
Auf der frischen Platte kann man interessante neue Songs hören und die Premiere einer HipHop-Version. Spielt ihr jetzt auch HipHop?
In jüngster Zeit wurde das Programm durch eigene Titel/Kompositionen angereichert. „Karriere und Beruf“ (ein konjunkturkritischer Song) ist da ein Beispiel, „Ich vergebe Dir“ ein weiterer Song. Uraufführung des letzteren Titels war auf der besagten Live-Veranstaltung (MACHTMUSIK) im Radialsystem im Dezember 2007. Zitiert und be-hip-hopt wird das „Kommunistische Manifest“, der Rest ist hausgemacht und ein echter Blas-Hip-Hop: „Ich vergebe dir, dass du anders bist, als ich es gebraucht hätte.“ Tah – tah!