JÖRG FAUSER - Rohstoff

Rohstoff.jpg(Alexander Verlag Berlin 2004, 303 Seiten, 19,50 EUR)

"Ich bin kein netter Mensch, sondern ein Schriftsteller, einer der Dunkelmänner also, die beim ältesten Verfassungsschutz der Welt angestellt sind, beim Verfassungsschutz für Sprache und Zweifel." Jörg Fauser

Jörg Fauser, wurde am 16. Juli 1944 geboren. Fauser schrieb Essays und Kommentare, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher, Erzählungen, Kriminalromane, Songtexte. Er hielt sich zunächst längere Zeit in Istanbul und London auf. Nach ersten literarischen Versuchen arbeitete er als Aushilfsangestellter, Flughafenarbeiter und Wachmann und war verantwortlicher Redakteur verschiedener Underground-Zeitungen. 1972 erschien sein erstes Buch "Tophane". Seit 1974 lebte er als freier Schriftsteller in München und Berlin. Seinen literarischen Durchbruch schaffte er 1981 mit dem Roman "Der Schneemann", der später erfolgreich verfilmt wurde. 1984 erschien erstmals sein Roman "Rohstoff". Seine Haltung war: "Keine Stipendien, keine Preise, keine Gelder der öffentlichen Hand, keine Jurys, keine Gremien, kein Mitglied eines Berufsverbands, keine Akademie, keine Clique; erheiratet, aber sonst unabhängig." Am 17. Juli 1987 starb Jörg Fauser an den Folgen eines Verkehrsunfalls.

Jörg Fauser war vierzig Jahre alt, als 1984 sein autobiographischer Roman "Rohstoff" erschien. Drei Jahre später war er tot. Ein Glück, daß er sein Leben in diesem großen Buch über sein Alter ego, Harry Gelb vorher aufgeschrieben hat. Alles selbst erlebt, selbst gelitten. Er war einer der ganz frühen deutschen Drogenfreaks und hat den besten Drogen-Roman verfaßt. Als er 1964 anfing Heroin und Morphium zu spritzen, war LSD in Deutschland noch praktisch unbekannt. Er setzte sich nach Istanbul ab, wo 1966, kurz vor dem Einfall der internationalen Hippiehorden, Opium noch relativ günstig und gefahrlos zu erhalten war. In Tophane, dem Junkieviertel Istanbuls, kauft sich Fauser seinen Seelenfrieden in Form von Rohopium. Fauser schluckte, spritzte und schniefte alles, was ihm in die Finger kam, vor allem Opiate und Speedpräparate. Aber das Schreiben war stärker als die Droge, das hat ihn da rausgeholt. In "Rohstoff" beschreibt er den immerwährenden Drogenrausch am Bosporus, traf William Burroughs in London und schaffte die Selbstheilung nach Burroughs' Vorbild mit der Antidroge Apomorphin.

Er reiste zurück nach Frankfurt, ins Milieu, in die kalte Heimat. Das Leben als Anarchist in den diskutierwütigen Kommunen von Berlin. Er beschreibt seine erfolglose Suche nach einem Verlag, entdeckt die Cut up-Technik für sich, geistert durch Untergrund-Zeitungen und wechselt auf die Droge Alkohol. Das hat einige hübsche Abstürze zur Folge. Er kennt die Suff-Keller der kalten Bankenstadt von innen. Alle um ihn herum haben nach der Sex-Revolution von 1968 ständig Sex. Fauser nicht. Und der Haß, der Haß auf das Kultur-Establishment, die ganze lebensverdrängende, wirkliche westdeutsche Gegenwart von 1968: "Dieser deutsche Brei, diese klebrige Soße schmeckte so schlecht, weil sie zubereitet war aus den Rückständen politischer Krankheiten, aus den überlebten Doktrinen des Jahrhunderts, und angereichert mit den politischen Modebegriffen der jeweiligen Saison." Roher Stoff, unbehauen, unverstellt, echt, bitter. Leben ist Erleben, oft auch Scheitern. Leben war Schreiben für ihn.

Fauser schreibt wütend, verletzlich bis verzweifelt. Man erfährt etwas aus dem Innenleben einer verpeilten Berliner Kommune und aus dem Bauch eines besetzten Hauses in Frankfurt/Main mit all den Irrungen, Streits, Intrigen, Eitelkeiten und politischen Scharmützel. Fausers Fazit in "Rohstoff" fiel deutlich aus: "Sie waren alle gleich, Kommunisten, Nazis, Eltern, Kirche, Literaturkritik, das Feuilleton, der Leitartikel, Revolutionärer Kampf, die RAF, das Kapital, das Fernsehn, Club Voltaire, Pazifismus, Guerilla, Mao, Trotzki, Rotzjur [=Rote Zelle Jura], der Underground und die Germania Wach und Schutz. Sie waren alle Teil desselben Konzepts, sie wußten, wo es langging, sie hatten das Bewußtsein gepachtet, die Liebe, das Glück der Menschheit."

Und diese Wut in ihm kann man deutlich spüren, er war immer auf der Seite von denen, die schon draußen sind. Die Außenseiter, Gescheiterten, die Aufgegebenen, Verwirrten, Chancenlosen und Penner.

Fauser gelang mit "Rohstoff" ein melancholisches, zorniges und auch desillusioniertes Porträt einer Generation nach 68 und seiner eigenen schriftstellerischen Anfänge. Schreiben ist Suchen.

Ronald Galenza / Oktober 2004