CHRISTIANE RÖSINGER - Das schöne Leben
Fischer Taschenbuch Verlag, 208 Seiten; 8,95 Euro. 2008
„Christiane, Christiane“ sang dereinst der knuffige Entertainer Bernd Begemann. Als alle noch Freunde waren und auch kein Geld hatten. Ich lernte die Lassie Singers während der „Popkomm“ 1991 in Köln kennen. Hübsche Mädchen voller wissender Gelassenheit. Es roch irgendwie noch wie früher. Als noch alles möglich schien. Wir trafen uns sehr spät beim legendären Mexikaner wieder und alberten stundenlang über Pop. So verblich diese Nacht. Wie eben alles mal anfängt. Weil man nicht lebt, wie man soll. Es fühlte sich an wie „Das schöne Leben“. Wie ein kleines Mädchen auf einem Spargelfeld im Badischen in eine Mohrrübe singt, ist vielleicht nicht für jeden interessant. Denn durch seine eigene Kindheit und Pubertät mußte sowieso jeder alleine durch. Auch die Einsamkeits- und Gruppen-Rituale in der Ödnis des Heranwachsens haben alle rechtzeitig Geborenen aus den Provinzen möglich schnell verdrängt. Die damalige Wahl der Autorin zwischen Hausfrau, Sekretärin oder Buchhändlerin bot allerdings nur wenige verheißungsvolle Perspektiven
Ihr Debütbuch „Das schöne Leben“ wurde eine kundige Sammlung autobiografisch gefärbter Kurz-Texte im Popgewand. Sie tragen stolze Titel wie „Rock me in crazy Berlin“, „Leben in der Bar“ oder „Ist das noch Boheme oder schon die Unterschicht?“. Das West-Berlin der achtziger Jahre galt vielen mal als Sehnsuchtsort. Weit gefehlt, wenn man Christianes Buch liest. Bowie, Nick Cave und Bargeld waren grad immer woanders. Es war eher grau, mau und lau. Kalt, dreckig und verloren. Jeder hatte zuviel Zeit und nix zu tun, die Tage waren dunkel und lang. Wenn man nirgendwo richtig dazu gehörte, war Ausgehen wichtig. Da ist sie schon allein erziehende Mutter und macht auf dem zweiten Bildungsweg Abitur. Und entdeckt die Vorzüge der „Ausgehgesellschaft“. Das müssen bittere Momente gewesen sein, als sie anfangs auf arrogante Ex-Provinzler stieß, die das Berliner-Sein wie „ein selbstgezimmertes Adelsprädikat“ vor sich hertrugen. Dieses Phänomen, seine Berlin-Jahre aus Coolness-Gründen zu verdoppeln und Heimatbesuche möglichst distanziert als Reisen nach „Westdeutschland“ anzutun, hält sich hartnäckig.
Sie erzählt von den wilden Nächten im Ex & Pop, Fischbüro, Flittchenbar, den ersten Auftritten der Lassie Singers mit Funny van Dannen oder aus dem Tourbus mit Britta. Und sie weiß sehr ulkig von ihrer ersten Champagnervergiftung zu berichten. Köstlich, wie Christiane Rösinger ihre Geburtstagsparty am Tag der Heiligen Drei Könige in der „Hohen Tatra“ beschreibt. Frisch verliebt, macht sie sich daran die Location von Eis und Grind zu befreien. Die Party läuft bis wegen einem unüberbrückbaren Streit um die „richtige“ Musik alles auseinander bricht. Ein schöner Abend eskaliert ohne Not. Dabei ging es doch nur um Ideologie und Macht. Eine moderne Penis-Fechterei. Ach Leute …
Eines sonnigen Nachmittages war ich überraschend bei Christiane zu hause. In Kreuzberg, Altbau. Ein Gespräch über ihre neue Platte. Kinder und Katzen huschten. Es gab Tee und Vertrauen. Irgendwas machte mich froh. Wenn man sich so nah kommen kann ohne zu heucheln. Da war es wieder, ein kleines Stück vom schönen Leben. Rösingers Buch ist ein wunderbar leichtes. Obwohl es schwer war. Alleinerziehend, musikalisch ebenso stolz wie erfolglos. Immer unterwegs im kulturellen Allrad. Obwohl weithin die witzigste, wissendste und charmanteste Band zogen Combos wie Blumfeld, Die Sterne oder Tocotronic mehr Aufmerksamkeit auf sich als die Lassie Singers. Irgendwie standen immer noch alle am selben Tresen, aber die Dinge hatten sich verändert. Es war längst nicht mehr so unbeschwert und egal. Eine neue Ökonomie bestellte nun die Drinks. Ebenso humorvoll wie verzweifelt.
Ich besuchte Britta bei einem Konzert in Maria am Ostbahnhof im September 2003. Die vier Frauen spielten die meisten Songs ihrer dritten Platte „Lichtjahre voraus“. Köstlich immer wieder die Zwischenerklärungen von Christiane Rösinger, hier kugelten sich Schalk und Ironie. Auf der Bühne ging es nicht um Schick und Charme; schlichte Klamotten und in Würde älter gewordene Gesichter, denen das Leben begegnet ist und das war nicht immer lustig. Und dann war auf einmal Besuch aus Hamburg da! Tocotronic’s Dirk von Lotzow griff sich die Gitarre und knödelte einen englischen Klassiker runter, Christiane sang dazu. Das war schön und eigen – waren das jetzt Nick Cave und Kylie des deutschen Undergrounds? Später erklärte sie mir, das die heutigen Pop-Diskursler und jungen Musik-Journalisten fast keinerlei Ahnung von Musik mehr hätten und lieber über Aussehen, Stimmung und Bekannte schreiben. Wir lagen uns symbolisch in den Armen. Anschließend gab es noch Champagner, Drogen und gute Laune. Oder um es mit Britta zu sagen: „Verborgene Talente, große Augenblicke, ganz, ganz wichtige Momente...“ Ein schöner Abend.
Während einer Veranstaltung im Rahmen des Internationalen Literaturfestival Berlin 2006 saß ich als Moderator genau neben Christiane. Es ging um „Worte ohne Musik“ Musiker sollten über ihre Texte sprechen. Zu Gast an diesem Abend in der Berliner Kalkscheune
waren Peter Thiessen (Kante), Ted Gaier (Goldenen Zitronen), Barbara Cuesta, Christiane Rösinger (Britta), Alexander Hacke (Einstürzende Neubauten). Und wie Musiker so sind: sie wissen alles und können das auch noch erklären. Erst Christiane Rösinger öffnete mit ihrer Herzlichkeit, ihrem subkutanen Humor das zahlreiche Publikum. Kundig berichtete sie aus ihrem prekären Leben mit der neuen Band Britta. Ihre Selbstironie ließ viele Menschen lächeln.
Ihr Buch ist kein Desillusionsroman, denn es berichtet auch von Stärke und Kraft, mit denen man den ganzen Unbill des Lebens begegnen kann. Sie schreibt zwar illusionslos, aber heiter. Trotz wachsender Desillusion bleibt Rösinger humorvoll und politisch. Gekonnter Fatalismus küßt Lakonie. Noch so voller Hoffnung.
Es war ein lauer Abend im Sommer 2007 vorm „nbi“, Kulturbrauerei. Die Grether-Sisters stellten ihr neues Buch vor, Lottmann stand am ewigen Tresen. Vor dem Laden ruhte Christiane. Jens Friebe huschte drumherum, wollte mich aber nicht kennenlernen. Mit Christiane kann man sich wunderbar unterhalten und Bier trinken. Wie schreibt sie in ihrem Buch nun so treffend:“Es ist nicht leicht in Berlin, und das Leben hier fordert den ganzen Menschen. Das Jahr geht vom Winterschlaf in die Frühjahrsmüdigkeit, von der Frühjahrsmüdigkeit ins Sommerloch, vom Sommerloch in die Herbstdepression und dann direkt in den Winterschlaf über – und zwischendurch gibt's Momente, die sind gut.“ So wars.
Das jahrelange Leben am Existenzminimum hat auch bei Rösinger Spuren hinterlassen. Trotzig erklärt sie: „Wir sind nicht Lo-Fi, weil wir den Anschluss verloren hätten, wir sind Bohemiens geworden, um nicht arbeiten gehen zu müssen... Wir haben keine Erwerbsbiografie, waren fast nie irgendwo angemeldet, haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Umschulungen, Weiterbildungsmaßnahmen, ABM, kommen in keiner Statistik vor. Wir beklagen uns manchmal, wollen aber eigentlich nicht anders leben.“ Im Moment heißt ihre die Gegenwart und Zukunft der Arbeit eben Jobcocktail oder glückliche Teilzeit. Oder: „Sommerhaus später, Callcenter jetzt.“
Ronald Galenza, Frühling 2008