JOHN NIVEN – Kill your friends
Roman, Heyne Verlag, München 2008, 352 Seiten, 12 EUR
Ein Hooligan von einem Buch! Ein irrwitziger Drogentrip! Jeder, der immernoch an das Gute in der Musik glaubt, wird nach diesem Buch lange weinen. Warnhinweis: wer nicht auf Kokain, Sperma oder Morde steht, wird mit diesem Höllenritt nichts anfangen können.
Protagonist Steven Stelfox ist A&R-Manager in einer großen Plattenfirma in England, immer auf der Suche nach dem nächsten Hit, immerkurz vorm Herztod. Gleich eingangs zitiert er den großen Hunter S. Thompson: „Das Musikgeschäft ist eine grausame und hirnlose Geldkloake, ein langer Korridor aus Plastik, in dem Diebe und Zuhälter tun und lassen, was sie wollen, und gute Menschen vor die Hunde gehen. Im Übrigen hat es auch eine negative Seite.“ Als „Artist and Repertoire“-Manager muß er möglichst schnell möglichst viele Hits heranschaffen, neue Bands signen und Platten in die Charts kriegen. Stelfox Credo dabei: „Mich interessiert es nicht, welchem Genre etwas zugehörig ist – Rock, Trance, Hip Hop, beschissener bulgarischer Heavy Metal – solang es profitabel ist.“ Ansonsten interessiert er sich nur ausschließlich für Drogen und Sex! Und das in rauhen Mengen! Es wird exzessiver Mißbrauch in jeglicher vorstellbarer Weise betrieben. Dabei geht es gar nicht zimperlich zu.
John Niven segelt dabei im Fahrwasser von Bret Easton Ellis' „American Psycho“. Er berichtet aus dem dunklen Herzen der Musik-Industrie am Ende der neunziger Jahre: „Es gehört zu unserem Job, schnelle Entscheidungen mit Hunderttausenden, oft Millionen Pfund Einsatz zu treffen. Selten sind es mehr als Ahnungen oder Gerüchte, die den Ausschlag für diese Entscheidungen geben. Und häufig werden sie unter Einwirkung von Drogen, Alkohol, Zielgruppen-Paranoia und panischer Angst getroffen. Die panische Angst ist ein Dauerzustand, denn – und das gilt es zu verstehen – niemand von uns hat auch nur den blassesten Schimmer, was er da eigentlich tut.“ Wer weiß denn vorher wirklich, was ein echter Hit wird, welche Band wirklich durchstartet? Niemand.
Wer immer noch glaubt, die Musikindustrie möchte junge, hoffnungsvolle Bands fördern, neue Talente zu Stars machen, muß dieses Buch lesen. Es ist ein durchgeknallter Albtraum! Niven schreibt: „Wir stellen eure Platten her und bringen sie in die beschissenen Läden. Wir geben unser Bestes, keinen Penny zu riskieren, bevor wir uns nicht sicher sind, ihn mit Zinsen zurück zu bekommen. Wir zweifeln alles an, was ihr tut, und mischen uns, wann immer wir können, in den künstlerischen Prozeß ein. Wir editieren und remixen eure Songs, ohne eure Einwilligung. Wir zwingen euch, in miesen, entwürdigenden Kindersendungen aufzutreten. Gemeinsam mit euren Verlegern werden wir uns nach Kräften bemühen, eure Musik für Werbekampagnen jedes erdenklichen Unternehmens – von Banken bis zu multinationalen Petrochemie-Konzernen – zu lizensieren. (Wir würden sie auch an Walfangflotten und Waffenhändler verkaufen, wenn die im Fernsehen werben würden.) Wir werden sämtliche Kosten, die ihr verursacht, auf euch abwälzen. Keine Sorge, euch wird das Lachen schon noch vergehen.“
Sehr kundig und treffend beschreibt er die anfänglichen Hoffnungen und naiven Träume junger Bands, bis sie dann an diese zynischen A&R-Leute geraten. Ebenso entlarvt er das heuchlerische Geschwätz von Großstars wie Thom Yorke von Radiohead oder U 2’s Bono. In der Musikindustrie wird sowie fast nur geheuchelt, gelogen und betrogen. Es werden Riesensummen und unglaubliche Budgets verpraßt, verschleudert, versenkt. Irrwitzig viel Geld geht für Nutten und Drogen drauf. Die bekannten Musik-Messen wie Midem, In The City, Popkomm, South By Southwest und alle anderen ebenso, beschreibt er als durchgeknallte Dauerorgien, als pornographische Drogentrips ins Herzen der Finsternis.
Als dann aber sein persönlicher Erfolg ausbleibt, greift er zu radikaleren, brutaleren Mitteln. Plötzlich verwandeln sich die guten Freunde aus der Plattenfirma in Todfeinde. Mehr sei hier nicht verraten, selber lesen. „Kill your friends“ ist ein grotesker Splatterschocker, ein Manifest zynischer Triebökonomien. Der ultimative Roman zum Niedergang der Musikindustrie. Der Autor war selbst jahrelang als A&R-Manager tätig. In einem Interview zu diesem Buch meinte John Niven auf die Frage, ob das Musikbusiness wirklich so ein Albtraum ist? „Es ist schlimmer!“. Das „American Psycho“ der Musikindustrie.
Ronald Galenza, April 2008