Frank A. Schneider - "Als die Welt noch unterging. Von Punk zu NDW"
384 Seiten, Ventil Verlag; 2007
Die Reise in diesem Buch geht von Punk zu NDW in der alten BRD von 1978 bis 1985. Dieses Buch macht da weiter wo Teipels „Verschwende Deine Jugend“ aufgehört hat. Die gefühlte Endzeitstimmung um 1980 gab Punk und New Wave erst den nötigen Schub. Sie sorgte für einen unglaublichen Ausbruch von Aktivität und Kreativität. Vorm Hintergrund des atomaren Wettrüstens glaubte niemand mehr an eine große Zukunft - deshalb war plötzlich alles erlaubt, ohne Rücksicht auf Verluste. Schneider schreibt dazu: „Das die Welt untergehen würde - jene Gewißheit, die schrecklich und behaglich im selben Atemzug war -, reichte aus, alles noch schnell aus- und anprobieren zu wollen. Sich alles zu nehmen. Die Gegenwart, der Moment, wurde bedeutsam und die Zukunft ein schaler Witz. Gerade die Zukunftslosigkeit verlieh also der Gegenwart ungeahnte Fähigkeiten, den Mut, aufzukündigen, abzubrechen, abzurechnen.“ Kritisch skizziert der Bamberger Autor, wie aus einem vitalen Punk-Underground der Boom um die Neue Deutsche Welle wurde.
Dem Autor geht es mit seinem Buch um das Porträt einer Szene und um die Sichtung von Vergangenem im Hinblick auf die Gegenwart, ausgestattet mit einer ordentlichen Portion eigenem „Nerdismus“. Frank A. Schneider spürt der Neuen Deutschen Welle und des deutschen Punk-Underground bis hinein in Regional-, Kassetten- und Fanzine-Szenen nach. Neben den mittlerweile kanonisierten Klassikern dieser Bewegung, (z. B. DAF, Fehlfarben) betrachtet er sowohl Charterfolge von Trio oder Extrabreit, aber auch Underground-Bands wie Kosmonautentraum, Die Tödliche Doris usw. Der Autor räumt auch mit der immer neu erzählten Geschichte auf, die NDW sei Ende 1982 durch obszöne Übersättigung des Marktes von der Plattenindustrie kaputtgemacht worden. Er beleuchtet, wie die NDW in den bürgerlichen Medien Westdeutschlands wahrgenommen und bewertet wurde (von BILD über Spiegel bis Spex) und beleuchtet die subkulturellen Medien der Kassetten-Szene. Der Autor ruft 2007 die Jugendbewegung Punk „als erste Form von Diskurspop, der weltweit unglaubliche Schübe an Kreativität ausgelöst hat“. Na, das wußten wir ja schon.
Schneider will lange eingeübte Klischees auftrennen. Er zeigt historisch bedingte Schnittmengen auf, erzählt von Freund- wie Feindschaften, stellt Epizentren in der Provinz gegen die Metropolen, und knüpft stets ans Heute an. So erhält man detailreichen Einblick in die (Gegen-)Kulturgeschichte der BRD. Positiv, das Frank Schneider die Entwicklungen in der DDR nicht verschweigt, sondern ihr wenigstens vier schmale Seiten spendiert. L’Attentat aus Leipzig auf das Niveau der West-Punkband Normahl herab zu würdigen oder Sandow lediglich als schlichte Einstürzende Neubauten-Epigonen zu reduzieren, wirkt wenig kenntnisreich. Die wuchtige Würdigung der AG Geige dagegen schon.
Angenehm, dieses Buch hat eine Haltung. Die muß man gar nicht immer teilen, aber Schneider will es gewiß nicht allen recht machen. Meinungsstark und selbstbewußt ist der Autor in seinen Urteilen und erfreut sich an eigenen Wortschöpfungen wie „bekiffte Weltindifferenz mit Amok-Dialektik“ oder „bürgerliche Schweinskrämerseele“. Das ist dann Soziologen-Punk. Allerdings erscheint mir der Ton des Autors manchmal auch besserwisserisch oder gar schnippisch. Schneider schreibt einen ebenso witzigen wie analytischen Stil. Manchmal verliert er sich aber in einer schier unendlichen Detailfülle und hemmt so mehr als einmal den Lesefluß.
Teil 2 des Buchs besteht aus einer kommentierten Discographie und einer Kassettographie. Beeindruckend, eine enorme Fleißarbeit. Allerdings konnte der Autor dabei auch auf die schon sehr gute Discographie der Internetseite www.punk-disco.com zurückgreifen. Rund tausend Platten sind gelistet, darunter Bands, von denen kaum jemand je gehört haben dürfte. Dazu kommt ein ebenso umfangreicher Quellenfundus von Kassetten. Dabei grub er Bands aus, bei denen jede Internetsuchmaschine aufgibt. Mit „Als die Welt noch unterging“ legt Frank A. Schneider eine detaillierte kulturgeschichtliche Chronik der westdeutschen Punk- und NDW-Entwicklung vor. Die Jugend von heute allerdings, die muß sich nun mit neuen NDW-Bands wie Mia oder Jennifer Rostock aushalten. Glückwunsch!
Ronald Galenza, April 2008